1334 - Der Ghoul und die Witwe
worden war. Sie hatte sich darauf auch nicht vorbereiten können. Instinktiv taumelte sie zurück und geriet aus dem Gleichgewicht. Die Vase ruschte ihr trotzdem aus der Hand. Nur fiel sie ungezielt nach unten und auch nicht mit der Kraft, die sie eigentlich eingesetzt hätte. Das war Kershers Glück.
Im Liegen riss er die Arme hoch. Bevor die Vase ihn treffen konnte, fing er sie ab und schleuderte sie zur Seite. Sie prallte mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden, ohne allerdings zu zerbrechen.
Dann rollte sie weiter.
Lou dachte nicht darüber nach, dass er für den Moment gerettet war. Er machte automatisch weiter, rollte sich aus der Gefahrenzone und versuchte dann, wieder auf die Beine zu kommen.
Ein wütendes Kreischen erreichte seine Ohren. Die Stimme der Frau klang schrill. Edna Wilson wollte nicht, dass ihr der Mann entkam. Sie war wie von Sinnen und hielt Ausschau nach der Vase, denn sie sah sie als einzige Waffe an.
Lou Kersher rannte auf die Tür zu.
Es gab für ihn nur die Flucht. Die Angst trieb ihn voran. Aber er hatte nicht nur einen Gegner, sondern noch einen zweiten.
Bisher hatte der Ghoul breit und schleimig in seinem Sessel gehockt und nichts getan. Er wartete auf seine Nahrung. Mit lebenden Menschen konnte er nicht viel anfangen. Ob er den Flüchtling töten wollte, das stand nicht fest. Jedenfalls wollte er ihn aufhalten. Es war schon bewunderswert, mit welch einer Behändigkeit sich dieser Schleimkloß bewegte.
Das sah auch der Flüchtende. Nie hätte er sie dem Ghoul zugetraut. Er drückte sich aus dem Sessel in die Höhe. Der schwere Körper bewegte sich zur Seite. Seine Beine waren nicht mehr als Klumpen, die über den Boden glitten. Der Schleim drückte sich aus den verschiedendsten Öffnungen und floss an der kompakten Masse entlang nach unten. Und als er sich abstieß, wobei er einen grotesken Sprung machte, hätte ein Zuschauer sicherlich gelacht.
Lou tat es nicht.
Für die Frau hatte er keinen Blick mehr. Er wollte zur Tür. In diesem kleinen Zimmer kein Problem. Alles lag hier nahe beieinander. Aber es stand einfach zu viel herum, und das störte ihn.
Kersher musste den Möbeln ausweichen. Er verlor wertvolle Sekunden, die der Ghoul gewann.
»Lass ihn nicht entkommen!«, kreischte Edna. »Er gehört dir. Wir beide holen ihn uns!«
Der fette Schleimklotz bewegte sich plötzlich sehr flink. Bevor Lou Kersher die Tür erreichen konnte, war ihm der Weg dorthin blockiert. Da stand der Ghoul in all seiner Widerwärtigkeit und nahm dabei die gesamte Türbreite ein.
Kersher stoppte mitten in der Bewegung. Er fiel noch gegen einen Sessel, riss ihn nicht um, sondern hielt sich an ihm fest. Er war völlig von der Rolle. Der Atem peitschte aus seinem Mund. Er saugte auch die stinkende Luft wieder ein, spürte Übelkeit, würgte und bewegte heftig den Kopf, weil er nach einem Ausweg suchte.
Es gab keinen für ihn.
Zumindest nicht durch die Tür. An der Schleimmasse kam er nicht vorbei. Wenn ihm noch eine Chance blieb, dann war es das Fenster, durch das er entkommen konnte.
Durch die Scheibe springen! Zum Öffnen blieb ihm keine Zeit. Er befand sich in der ersten Etage. Ein Sprung in die Tiefe musste nicht eben tödlich enden, aber er brauchte auch nicht gut abzulaufen.
Man konnte sich leicht ein Bein brechen oder unglücklich aufschlagen und sich das Genick brechen.
Die Witwe hatte den Blick des Mannes bemerkt. Sie kicherte. Sie steckte voller satanischer Freude. Das war auch in ihren leuchtenden Augen zu sehen.
»Du kommst hier nicht weg, Nachbar! Nicht mehr als normaler Mensch, das schwöre ich.«
Kersher enthielt sich einer Antwort. Er wusste alles selbst. Noch immer spielte er mit dem Gedanken, sich aus dem Fenster zu stürzen. Im Film sah es immer so leicht aus, aber das waren Stuntmen, die diese Rolle übernahmen, und keine Menschen mit normalen Berufen.
Er wich zurück. Er schaute sich gehetzt um. Seine Blicke galten der Suche nach einer Waffe. Leider fand er keine. Und mit einer schweren Vase hätte er den Ghoul auch nicht vernichten können.
»Er wird dich fress…«
Edna Wilson sprach nicht mehr weiter, denn etwas hatte sie gestört. Die Türklingel.
Ein schrilles Geräusch. In der Nacht noch deutlicher als am Tage, und sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse, denn damit hätte sie nicht gerechnet.
Heftig bewegte sie den Kopf. Sie schaute nach links, nach rechts, war verwirrt und sagte nichts, und so erhielt Lou Kersher eine Galgenfrist.
Die Frau entschied
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