1335 - Mandragoros Liebeshexe
und setzte sich auch steifer hin. Das Gewehr stand neben ihr wie ein Wachtposten. Es lehnte an der Couch und war griffbereit.
Wieder erklang das Knacken!
Diesmal lauter als sonst. Sofort wusste die Frau Bescheid. Es knackte nicht, weil das Holz auf dem Boden und in den Wänden arbeitete, es gab einen anderen Grund. Irgendetwas war mit Gewalt dabei, seinen Weg zu suchen. Dafür musste es Hindernisse aus dem Weg räumen.
Gerda bewegte nur ihre Augen. Sie ging davon aus, dass es nicht allein beim Knacken blieb. Da musste es andere Gründe geben, und die konnten ihr nicht gefallen.
Zum ersten Mal dachte sie daran, dass es wohl falsch gewesen war, sich von John Sinclair zu trennen. In seiner Nähe hätte sie sich wohler gefühlt.
Noch war nichts geschehen, und auch das Geräusch wiederholte sich in den nächsten Sekunden nicht.
Für die Frau strichen sie in einer atemlosen Spannung dahin.
Gerda war fast bis zur Kante der Couch gerutscht, weil sie so einen besseren Überblick hatte. Sie durchsuchte die Hütte. Ihre Blicke streiften über die Wände, ließen auch die Decke nicht aus und den Fußboden…
Genau dort passierte es!
Aus dem Knacken wurde ein Splittern. Der Druck aus der Tiefe war zu stark geworden. Sie sah kleine Holzstücke in die Höhe fliegen, die von den Bohlen abgebrochen waren. Noch stand der Tisch vor ihr, sodass sie nicht zu viel erkannte.
Ein Loch im Boden?
Für Gerda gab es keine andere Möglichkeit. So musste es einfach sein. Sie wollte Gewissheit haben und stand auf.
Dabei umfasste sie das Gewehr und benutzte es als Stütze.
Langsam stemmte sie sich hoch. Sie schaute über den Tisch hinweg – und sah, was passiert war.
Es gab das Loch tatsächlich, aber es war nicht nur die Öffnung, die sie sah. Sie war bewusst geschaffen worden, denn aus ihr ragte ein krummer Ast…
***
Es gibt das Märchen von Hänsel und Gretel, dem Geschwisterpaar, das sich im Wald verlaufen hatte. So kam auch ich mir vor, wobei ich den Part des Hänsel übernommen hatte, denn ich ging allein und ohne irgendeine Begleitung.
Ein direktes Ziel hatte ich nicht, aber ich wusste, in welche Richtung ich gehen musste. Ich wollte nämlich dort hingehen, wo ich diese rätselhafte Frau zuletzt gesehen hatte, als sie fast vor mir geflohen war.
Einfach war das nicht, denn es gab keinen Weg oder Pfad, den ich hätte nehmen können. Zum Glück war es noch nicht ganz dunkel geworden, doch in diesem Teil des Waldes wurde es eigentlich nie richtig hell und auch nicht trocken, denn ich bewegte mich auf einem feuchten Boden weiter.
Meter für Meter drang ich tiefer in das mir unbekannte Gelände hinein. Dabei kroch manch ein Schauer über meine Haut hinweg, den ich allerdings ignorierte.
Ich suchte nach Bewegungen in dieser aus Zwielicht gebildeten Schattenwelt. Die Lampe hatte ich nicht eingeschaltet. Sie hätte mich zu sehr verraten.
Wo steckte die Frau?
Dass sie keine Spukerscheinung gewesen war, wusste ich. So etwas konnte man sich nicht einbilden. Sie hatte unter Umständen hier im Wald ihr Zuhause, und das ließ mich schon nachdenklich werden. Meiner Ansicht nach gehörte sie nicht zum Kreis der normalen Menschen.
Sie sah zwar so aus, doch hinter ihr steckte mehr.
Aibon…?
Hatte das Paradies der Druiden eine Botin geschickt? Es war möglich, aber ich konnte nicht so recht daran glauben. Aibon war eine Welt, die sich zurückgezogen hatte und deren Tore sich so gut wie nie öffneten. Zumindest nicht ohne triftigen Grund.
Zu wem gehörte sie dann?
Um diese Frage drehten sich meine quälenden Gedanken. Ich dachte auch daran, dass ich einen derartigen oder ähnlichen Fall nicht zum ersten Mal erlebte. Schon öfter war ich in einen finsteren und auch dämonischen Wald geschickt worden und hatte dessen Gesetze erlebt.
Die gab es. Und sie waren von einem Wesen erschaffen worden, das auch ich kannte.
Jetzt hakte sich ein bestimmter Name bei mir fest.
Mandragoro!
Eine dämonische Gestalt. Ein Wesen, das eins mit der Natur geworden war, und das die Natur für sich entdeckt hatte und sie auch beherrschte. Es war seine Welt. Er liebte sie. Er verteidigte sie, und er war der Todfeind der menschlichen Umweltsünder. Ich hatte erlebt, wie er zuschlagen konnte. Da nahm er keine Rücksicht. Sein Wald, seine Helfer, sie hatten es geschafft, die Menschen zu töten, die Raubbau an der Natur trieben.
Offiziell war davon nichts in die Presse geraten, aber ich wusste es besser. Mandragoro lauerte immer. Und er fand auch stets
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