1335 - Mandragoros Liebeshexe
dichten Wald, dessen weicher Boden durch den Humus wie ein Teppich war, über den ich jetzt weiterging und dabei behutsam auftrat, damit ich nicht zu viel von mir verriet.
Ich wich Zweigen aus und umging Äste. Ich duckte mich oft und überstieg dabei auch höher wachsende Farne, um sie nicht zu zerstören. Ein wenig dachte ich dabei auch an Mandragoro, dem diese Welt gehörte. Er hatte sie sich eben als Herrscher Untertan gemacht.
Zwielicht umgab mich. Schatten zumeist mit allerdings letzten Resten einer Helligkeit gefüllt, die der vergehende Tag hinterlassen hatte. Unheimlich kam mir die Umgebung nicht mehr vor, denn ich hatte mich mittlerweile daran gewöhnt.
Manchmal raschelte es in meiner Nähe. Mäuse oder Igel, die über und durch das Laub huschten.
Der Himmel gab noch immer die metallene Helligkeit ab, aber sie brachte mir hier unten nicht viel.
Da ich bereits ein gutes Stück vorgelaufen war, wünschte ich mir den erneuten Ruf herbei. Und er folgte. Ja, als hätte die geheimnisvolle Frau meinen Wunsch verstanden.
»John Sinclair…«
Sie war da, und sie war sogar in der Nähe. Sonst hätte ich den Ruf nicht so laut gehört.
Ich sah keinen Grund mehr, weiter nach vorn zu gehen und blieb deshalb stehen.
Es war die gleiche Umgebung. Hier hatte sich nichts verändert.
Vielleicht war es feuchter geworden, und deshalb sahen auch die Bäume etwas anders aus. Auf den Stämmen lag eine noch dichtere Moosschicht. Von manchen Ästen oder Zweigen hingen Gräser herab, die mich an Lianen aus dem Dschungel erinnerten. Der Boden war weicher geworden. Es konnte sogar sein, dass sich in der Nähe ein Tümpel oder ein kleines Moorloch befand.
Das letzte Licht fiel in den Wald. Weiter vorn sah ich Streifen, als hätte jemand eine Gardine aufgehängt. In diesem fahlen Glanz schimmerten an verschiedenen Stellen die dünnen Netze der Spinnen auf. Sie hatten wahrhaft große Netze gesponnen, als tödliche Fallen für andere Insekten.
Und vor diesem Licht stand sie. So plötzlich, als wäre sie vom Himmel gefallen.
Ich sah die Frau wie auf einer Bühne stehen, und ich sah auch, dass sie nackt war.
In diesem Moment wusste ich, dass sie nicht mehr fliehen würde.
Sie hatte die Begegnung gesucht und gefunden, und ich war gespannt, ob ich wirklich eine Mörderin vor mir sah…
***
In einer Reflexbewegung griff Gerda Simmons zu ihrem Gewehr.
Sie hob es nicht mal an, denn ihr kam in den Sinn, dass sie mit der Waffe gegen das, was da aus dem Boden gewachsen war, nichts anfangen konnte. Hier hatte die Natur etwas getan, das sie nicht nachvollziehen konnte. Es war der pure Wahnsinn und nicht erklärbar.
Über den Tisch schaute sie hinweg auf die grünen wippenden Blätter an diesem zur Seite hin gebogenen Ast. Jemand in ihrer Nähe gab ein stöhnendes Geräusch ab. Es dauerte einige Sekunden, bis Gerda einfiel, dass sie selbst es gewesen war.
Dann schloss sie die Augen.
Nein!? sagte sie sich selbst. Nein und nochmals nein! Das kann, das darf es nicht sein!
Es war trotzdem so.
Es blieb so.
Nichts anderes sah sie, als sie die Augen geöffnet hatte. Der Ast blieb in seiner Stellung. Er war nicht mehr gewachsen, aber etwas anderes sorgte bei ihr für erneute Unruhe.
Nicht weit von ihrem Standort entfernt hatte sie ein neues Geräusch gehört. Es war wieder dieses widerliche Knacken, mit einem Knirschen verbunden.
Das Holz riss.
Sie fuhr herum!
Wie eine Peitsche schlug ein erneuter Ast oder starker biegsamer Zweig aus dem Boden. Das zweite Loch war größer als das erste, und aus ihm drangen noch weitere Pflanzen hervor, die sich jetzt, da sie Platz hatten, ausbreiteten. Sie bildeten Sträuße, sie falteten ihre Zweige zu den Seiten hin auf. An ihnen saßen Blätter von unterschiedlicher Größe und auch Farbe. Sie wippten leicht auf und nieder, als wollten sie die einsame Frau begrüßen.
Gerda sprang zur Seite. In ihrem Kopf erlebte sie ein großes Durcheinander. Sie wusste jetzt nicht mehr, wie sie sich verhalten sollte.
Im Haus bleiben? Wegrennen?
Wieder brach das Bodenholz auf. Und diesmal mit noch mehr Kraft. Da brachen sogar die Bohlen durch den Druck entzwei, und die Frau riss ihre Arme hoch, um nicht am Kopf getroffen zu werden.
Ein Holzstück erwischte sie an der Hüfte, und ein weiteres hätte fast eine Scheibe durchschlagen.
Was immer unter dem Haus gelauert hatte, jetzt brach es sich freie Bahn. Es gab kein Hindernis mehr, das es noch gehalten hätte, und so strömte es aus der Tiefe.
Sperriges
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