134 - Geister im Grand Hotel
gelegenen Etagen. Larry wartete die Ankunft der Fahrstühle nicht ab, lief
die Treppe nach unten und erreichte eine Minute später das Foyer.
Rund zwanzig Menschen hielten sich darin auf.
Der Concierge hatte zu tun mit einem Paar,
das gerade angereist war. Sie trug einen leichten Übergangsmantel, vorn
aufgeknöpft, Rock und Bluse, dazu salopp dekoriert ein seidenes Halstuch, das
in der Farbe zur übrigen Kleidung paßte.
Die Frau hatte aschblondes, schick frisiertes
Haar, ihr Parfüm war angenehm und dezent.
Der Mann war gut zwei Köpfe großer als sie,
ein breitschultriger athletisch wirkender Bursche in mittelgrauem Straßenanzug
und leichter Sportjacke.
Larrys Blick streifte die Anwesenden und
blieb an dem Mann hängen, der wenige Schritte vom Haupteingang entfernt direkt
neben dem Kamin saß - und in einer Illustrierten blätterte.
Der Mann machte einen seriösen Eindruck,
hatte silbriges, volles Haar und war schätzungsweise siebzig.
Er trug zur grauen Hose ein weißes Hemd und
eine dunkelblaue Strickjacke.
In dem Moment, als Larry den Stern- Leser
erblickte, hatte er nur noch Augen für ihn.
Er steuerte direkt auf ihn zu
...
*
Im gleichen Moment zwei Etagen höher...
Hinter der Gangbiegung links von den
Fahrstuhlschächten, stand eine Gestalt.
Sie war dort gut geschützt und hatte gehört,
wie die Tür von Zimmer Nr. 237 geöffnet und geschlossen worden war, und es war
ihr auch nicht entgangen, wie der Bewohner dieses Zimmers in großer Eile
davonging.
Die Gestalt hatte um die Wand gespäht und
Brents Abgang über die Treppe verfolgt.
Der Beobachter ließ einige Sekunden
verstreichen, bis X-RAY-3 außer Sichtweite war. Dann wollte sich die Gestalt auf
Zehenspitzen aus dem Versteck lösen, wich jedoch zurück.
Der Aufzug, nur wenige Meter von Zimmer Nr.
237 entfernt, hielt, und die Tür öffnete sich.
Ein Mädchen in schwarzem Kleid und weißer
Schürze schob einen Wagen vor sich her, auf dem ein abgedecktes Tablett und
Geschirr standen.
Der Zimmerservice hatte in Nr. 229 zu tun,
und verschwand dort hinter der Tür.
Auf Zehenspitzen eilte flink eine Gestalt
über den Flur, steckte das Passepartout, den Hauptschlüssel, ins Schloß und
öffnete.
Der Fremde huschte ins Zimmer.
Er wußte genau, was er wollte.
Sein Ziel war das Badezimmer, in dem heißes,
schaumiges Wasser in der Wanne dampfte.
Die heimlich eingedrungene Gestalt hielt ihre
geschlossen Rechte über die Wanne und öffnete die Hand. Ein feines weißes
Pulver rieselte auf den Schaum herab. Ein leises Prickeln war zu hören, als
würde Brausepulver in Wasser aufgelöst.
Den gesamten Inhalt seiner Hand ließ der
lautlose Eindringlich in die Wanne rieseln, tauchte seine Finger dann ins
Wasser und bewegte es ein wenig, damit die Substanz sich völlig auflöste.
Ebenso lautlos und noch schneller, als die
Gestalt Brents Zimmer betreten hatte, verließ sie es wieder.
Sie warf keinen Blick in den Koffer. Der
interessierte sie nicht. Sie durchsuchte überhaupt nichts.
Ihr kam es darauf an, so schnell wie möglich
wieder zu verschwinden.
Unbemerkt schloß der Eindringling die
Zimmertür und verschwand hinter der Gangbiegung, die in einen anderen Abschnitt
des Grand Hotels führte.
Das Zimmermädchen, das acht Türen weiter
wieder auf den Gang hinaustrat, hatte von dem Vorgang nichts bemerkt.
Alles war wieder so wie vorher, unverändert
und ruhig.
Aber der Eindruck täuschte!
Der Grundstein für Larry Brents Tod war
gelegt. . .
*
Die Kaminecke lag drei Stufen unterhalb des
Niveaus der Empfangshalle.
Der weißhaarige Mann schlug die Beine
übereinander, blätterte seine Illustrierte zu Ende und machte dabei offenbar
eine etwas unglückliche Bewegung.
Der „Stern“ rutschte dem Mann aus der Hand.
Dieser griff danach und blickte auf, als im
gleichen Moment die Stimme ertönte. »Hallo, Sam?«
Der Mann in der blauen Strickjacke wirkte
verwirrt und starrte den großen blonden Mann mit den eisgrauen Augen an.
»Da bin ich, Sam. Genau, wie wir’s
abgesprochen haben ...«
»Sie müssen mich mit jemand verwechseln«,
antwortete der Mann in gebrochenem Englisch. In dieser Sprache hatte Larry ihn
angeredet. »Ich heiße nicht Sam, sondern Gerd ...«
Das war eine ganz andere Stimme. Sie lag im
Ton weit höher. Aber das war kein Beweis. Ein geschickter Imitator hatte mit so
etwas keine Probleme.
Auch was den Akzent anbelangte. Der Mann
sprach gebrochenes Englisch, der andere am Telefon mit der krächzenden
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