1340 - Ephemeriden-Träume
ahnte, daß etwas bevorstand, dem er sich nicht entziehen konnte. Das Wasser des Kanals begann zu kochen, und er zog sich vor dem heißen Dampf zurück. Für ein paar Sekunden lag die Sonne hinter einer Wolke von Wasserdampf verborgen, dann kam sie wieder zum Vorschein und beleuchtete den leeren Kanal, dessen Boden sich in unregelmäßigen Schüben hob und senkte. Die schrägen Wandungen der Uferbefestigungen erhielten Risse und lösten sich. Steine und Mörtel stürzten hinab in den Sand, der sie verschlang. Der Kanal wand sich hin und her, und der Traifaer blickte sich entsetzt um und stellte fest, daß die ganze Landschaft um ihn herum in Bewegung geraten war. Das Sonnenlicht wurde dunkler, neben dem Stern tauchte das Schwarze Loch aus dem Nichts auf und näherte sich gierig dem System.
Das Ende ist nahe!
Polsafor war nicht in der Lage zu entscheiden, ob die Stimme zu ihm gehörte oder nicht. Er wußte, daß sie die Wahrheit sagte. Plötzlich fielen ihm die hundert Schiffe wieder ein, die er einst auf den Bildschirmen in der Boje gesehen hatte. Es mußte ziemlich lange hersein, daß sie gekommen waren.
Hatten sie nicht verhindern können, daß das Traifon-System zerstört wurde?
Die Glut der Sonne wurde eindringlicher. Ihre Umrisse begannen zu zerfasern, als würde der Glutball auseinandergerissen. Zweifellos war es die Gewalt des Schwarzen Loches, die den Stern bedrängte.
Der Traifaer schrie. Er schrie nach seinen Artgenossen, die sich in der Stadt unweit des Kanals aufhielten.
Sie reagierten nicht, und Polsafor fuhr in einem Anflug von Zorn herum. Resignation befiel ihn, als er die rauchenden Trümmer sah, die von Bergen-Ult übriggeblieben waren. Ohne daß er es gewahr geworden war, waren die Gebäude in sich zusammengestürzt. Er hörte den gedämpften Schall von Explosionen und drohte zu dem schwarzen Fleck am Himmel hinauf.
Er konnte es nicht aufhalten, niemand konnte es aufhalten.
Der Boden unter ihm bäumte sich auf. Polsafor wurde weggeschleudert. Er stürzte mit dem Rücken in den wandernden Sand des Kanals. Ein dunkler Fleck erschien am Firmament, machte dem Schwarzen Loch neben der Sonne Konkurrenz. Er raste schräg auf den Horizont zu und berührte ihn dann. Hoch spritzte die Fontäne auf, erreichte die oberen Schichten der Atmosphäre und den Weltraum. Ein Schlag traf Traifon, und der Kanal stürzte endgültig in sich zusammen. Die Ebene dahinter riß auseinander und sackte um mindestens einen halben Kilometer ab, und der Traifaer bedeckte mit den Händen das Gesicht und wollte nichts mehr sehen. Er hatte nur einen Wunsch: einen schnellen Tod.
Erliege nicht der Illusion, meldete sich eine warnende Stimme in seinem Innern. Du bist nach wie vor im Innern der Boje. Konzentriere dich!
Polsafor versuchte es, aber er schaffte es nicht. Der Funke in seinem Innern war zu schwach dazu. Er wartete auf den Tod, doch der Tod wollte nicht kommen, und so erhob sich der Traifaer. Er schlüpfte aus den unsichtbaren Gurten, die ihn hielten. Er kletterte hinauf in die Ebene, während hinter ihm der Kanal in den unergründlichen Tiefen des Planeten verschwand.
Und er entdeckte die Artgenossen, etwa hundert an der Zahl. Sie gebärdeten sich wie rasend. Er eilte auf sie zu. „Es hat keinen Sinn", rief er ihnen entgegen. „Ich bin Polsafor, und ich sage euch, ehe der Tag zu Ende ist, wird es uns nicht mehr geben. Alles geht einmal zu Ende. Unser Ende ist uns durch das Schicksal bestimmt.
Möge Granjcar Würdigere finden als uns!"
Die Traifaer schwiegen, beeindruckt von seinen Worten. Sie scharten sich um ihn, und Polsafor deutete empor an den Himmel, wo sich die riesige Gestalt des Ewigen Kriegers in seiner goldenen Rüstung zeigte. Granjcar schritt über die halb zerborstene Oberfläche Traifons. „Ihr steht vor den Trümmern eurer eigenen Kultur", sprach er mit Donnerstimme zu den winzigen Sterblichen. „Warum nur habt ihr euch vom Kriegerkodex und dem Permanenten Konflikt abgewendet? Ihr habt gefrevelt, und jetzt müßt ihr dafür bezahlen! Wißt, daß es in Absantha-Gom und dem ganzen Reich der ESTARTU nicht einen einzigen Platz mehr für euch gibt."
„Wir wissen nicht, wie wir dir diese Gnade danken können", seufzte Polsafor. Er begriff, daß es ihm allein gegeben war, den letzten Disput mit dem Ewigen Krieger zu führen. Der Traifaer wuchs in diesen Augenblicken über sich selbst hinaus. „Es wird ein schnelles Ende sein!" Granjcars Abbild verblaßte, und Sekunden später begann das Schwarze
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