1341 - Die Wiege des Kretins
manipulieren. Er war zu Godwin gekommen, um ihn zu erwürgen. Es war ihm nicht gelungen, und von seinen echten Feinden hatte er auch nichts mehr gehört und nichts gesehen.
Nun dieser Besuch…
Der Templer war sich noch immer nicht sicher, ob es die Gestalt tatsächlich gab oder ein Produkt seiner überreizten Nerven war.
Das konnte alles sein. Nichts wollte er ausschließen, aber je länger er hinschaute, desto mehr festigte sich seine Überzeugung, dass es die Gestalt wirklich gab.
Er schaffte es auch, seine Gefühle zurückzudrängen und sich auf den Besucher zu konzentrieren. Er musste jetzt die Nerven behalten und durfte sich nicht beirren lassen. Diese Person war seiner Meinung nach nicht zu fassen. Er sah sie als feinstofflich an. Sie schien ihn aus einem anderen Reich besucht zu haben. Sie sah zudem aus, wie man sich ein Gespenst vorstellt. Sie war ein Schatten, ein Nichts, und zugleich besaß sie menschliche Umrisse. Er verglich sie sogar mit der Uniform der Templer, wenn diese die Kapuze ihrer Kutte in die Höhe gestreift hatten und sich durch die Welt bewegten.
Das war kein Templer. Er glaubte daran, dass diese Gestalt nicht angefasst werden konnte. Seine Hand würde durch sie hindurchstreifen, das stand für ihn fest.
Sie war ein Gruß aus einem Totenreich. Dieser Gedanke kam ihm nicht mal fremd vor, wenn Godwin sich daran erinnerte, dass er von seinem Freund John Sinclair aus der Vergangenheit in diese Gegenwart geholt worden war und nun, nach dem Tod des Abbé Bloch, die Templerführung übernommen hatte.
Er selbst sah sich als ein Phänomen an, und deshalb hatte er für andere Phänomene ebenfalls Verständnis.
Ob der unheimliche und geisterhafte Eindringling ihm feindlich gesonnen war, das konnte er nicht feststellen. Noch tat die Gestalt nichts. Sie stand auf dem Fleck, und wenn er genau hinschaute, dann sah er in ihr ein leichtes Zittern.
Tief holte er Luft. Godwin war ein Kämpfer. Er gehörte zu den Menschen, die so leicht nicht aufgaben. Da er sich wieder besser fühlte, wollte er versuchen, Kontakt mit dem unheimlichen Eindringling aufzunehmen. Ansprechen?
Godwin wusste es nicht. Trotz seiner Erfahrungen mit den jenseitigen Welten war er nicht sicher, ob er den Kontakt zwischen ihnen und sich herstellen konnte.
Aber er musste sich irgendwie melden und versuchte es zunächst mit einer Ansprache.
»He, kannst du mich hören?«
Die Gestalt bewegte sich nicht.
Godwin unternahm einen zweiten Versuch. Und diesmal sprach er etwas lauter.
Auch jetzt zeigte die unheimliche Gestalt keine Reaktion. Sie stand im Zimmer wie in die Luft gemalt, und es war Godwin nicht möglich, ihr Gesicht zu sehen.
Er verzweifelte nicht und dachte auch nicht an Aufgabe, denn er hatte etwas anderes vor. Hilfe holen wollte er ebenfalls nicht. Ihm kam es darauf an, selbst etwas in die Wege zu leiten. Obwohl es die Ärzte nicht gern sahen, wenn er ohne Hilfe aufstand, würde er es tun und sich der Gestalt nähern. Er wollte einfach mehr von ihr wissen und sie auch berühren. Damit hätte er möglicherweise viel gewinnen können. Einen Hinweis auf die Existenz.
Es war für ihn nicht einfach, ohne Hilfe aus dem Bett zu steigen.
Zu lange hatte er gelegen, und so etwas traf auch den Kreislauf. Da war es schwer, den Schwindel zu bekämpfen, der sich bei ihm allerdings in Grenzen hielt. Als Godwin auf der Bettkante saß, fühlte er sich fast normal. Zumindest hielt ihn keine Kraft gepackt, die ihn von der Kante stoßen würde.
Er wartete. Schob seine Füße in die Pantoffeln und atmete in aller Ruhe durch. Nichts überstürzen und alles erst mal wirken lassen.
Sich dann sehr langsam erheben und nur kleine Schritte machen.
Es ärgerte ihn, dass die letzte Bewegung für einen leichten Schweißausbruch gesorgt hatte. Die Kraft war noch nicht zurückgekehrt. Das lange Liegen hatte ihn schon fertig gemacht.
Noch konnte er sich entscheiden. Wieder zurück ins Bett legen und alles so belassen oder aufstehen und auf diesen unheimlichen Besucher zugehen?
Godwin entschied sich für die letzte Möglichkeit. Er war kein kleines Kind mehr. Er hatte es gelernt, zu kämpfen und sich auseinander zu setzen, und das behielt er auch jetzt bei.
Die Gestalt bewegte sich nicht. Sie schwankte nicht, sie gab keinen Laut von sich, sie blieb einfach nur stehen und schien tatsächlich auf Godwin zu warten.
Der stand auf!
Zu schnell, wie er noch in der Bewegung merkte. Er begann zu schwanken und war froh, sein Bett hinter sich zu
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