1342 - Die Totmacher
dass die Kinder den schrecklichen Ernst der Lage nicht richtig begriffen. Sie besaßen noch ein gesundes Abwehrsystem, anders als manche Erwachsene, aber sie hatten schon verstanden, was man von ihnen wollte.
»Geht jetzt! Und sagt ihrem Vater Bescheid.«
Die drei drehten sich um. Sie hörten die Stimme hinter ihrem Rücken, denn Lou war noch nicht fertig. »Sagt ihm, dass der Bruder von Killer Gannon auf ihn wartet, um abzurechnen.«
Die Mädchen gaben keine Antwort. Sie gingen auf die Frau mit den silberblonden Haaren zu, die wie eine Wächterin vor der Tür stand.
Mira Mills tat immer das, was ihr Freund von ihr verlangte, egal, ob es gesetzlich war oder nicht. Sein Einfluss war einfach zu stark.
Auch jetzt, denn sie gab den Weg frei.
»Denkt daran, was Lou gesagt hat.«
Die drei Kinder nickten. Sprechen konnten sie nicht. Sie hielten sich an den Händen gefasst, zitterten und gingen durch den Flur mit schlurfenden Schritten.
Die Haustür zogen sie nicht weit auf. Es reichte ein Spalt, um sie durchzulassen. Dunst wallte durch die Öffnung. Er war schnell wieder verschunden, als Mira Mills die Tür schloss.
»Es läuft ja gut, Lou«, sagte sie.
Er nickte. »Bei mir immer…«
***
Wir gingen zurück. Obwohl wir den Weg bereits kannten, kam er mir fremd vor. Der Nebel sah zwar aus wie eine graue Suppe, die sich einfach nur im Ort verteilt hatte, aber er befand sich in ständiger Bewegung, so dass er immer wieder fremde Figuren schuf, die uns schon irritierten. Hinzu kamen die Verkleideten, die unechten Lichter, das Schreien der Stimmen und hin und wieder die Klänge der gruseligen Musik, die durch die Gassen wehten.
Manchmal überkam mich der Eindruck, über eine riesige Bühne zu gehen, die einfach kein Ende hatte.
Wenn so etwas passierte, musste man eben abschalten. Halloween war ein Spaß. So lange es ein Spaß blieb, ging er uns nichts an, aber in diesem Fall hatte sich das Fest zum Gegenteil gekehrt. Es gab zwar keine Geister und Gespenster, die wir zu jagen hatten, aber der Fall mit realen Personen reichte uns auch.
Neben uns gingen die Blaines. Karen schwebte in einem Zustand zwischen Angst und Hoffnung. Bisher wusste keiner von uns, ob die vier Freundinnen die beiden alten Lehrerinnen nicht nur erschrecken wollten. Dass sie das Haus überhaupt betreten hatten, wunderte uns schon, denn wie ich wusste, waren die beiden alten Frauen nicht eben bereit, einen Spaß mitzumachen. Vielleicht hatten die Kinder es gerade deshalb getan.
Es war uns keine genaue Zeit bekannt. Aber eigentlich hätten uns die Mädchen schon entgegenkommen müssen, doch das genau war nicht passiert. Wir sahen alle möglichen Gestalten, nur die Mädchen nicht, obwohl wir uns bereits in der Straße befanden, in der auch das Haus der Lehrerinnen lag.
Das war nicht mehr mitten im Dorf, sondern beinahe schon an seinem Ende.
»Ich habe Angst!«, hörten wir Karens Stimme. »Ich spüre, dass es schlimm werden kann. Wie soll sich unser Kind gegen die grausamen Menschen wehren.«
»Du weißt ja nicht, ob sie dort sind.«
»Ich spüre es, Ethan. Ich spüre es mit den Gefühlen einer Mutter. Das kannst du mir glauben.«
»Warte erst mal ab.«
Suko und ich mischten uns nicht ein. Wir wussten auch nicht, wie wir den Eltern Trost spenden sollten.
Ethan Blaine drehte uns den Kopf zu. Er wollte etwas sagen, aber seine Frau kam ihm zuvor.
»Da sind sie!«
Die Stimme klang so schrill, dass sie mir sogar fremd vorkam.
Karen war auch nicht weitergegangen. Sie hielt den rechten Arm nach vorn gestreckt und deutete auf drei kleine Gestalten, die im Nebel nur schwach zu erkennen waren, aber leider nicht in unsere Richtung liefen, sondern entgegengesetzt.
»Wendy…!«
Die Stimme der Frau überschlug sich fast. Wenn die Mädchen nicht taub waren, mussten sie den Schrei gehört haben.
Das hatten sie auch, denn sie blieben plötzlich stehen und drehten sich um.
Da rannte Karen Blaine bereits auf sie zu. Wir hörten das Schlagen ihrer Absätze. Als wir die Kinder erreicht hatten, kniete sie bereits vor ihnen und sprach heftig auf sie ein.
Dann schnellte sie hoch und drehte sich. Beide Hände schlug sie gegen ihre Wangen und sprach das aus, was sie tief getroffen hatte.
»Wendy ist nicht bei ihnen – o Gott!«
Keiner von uns sagte ein Wort. Wir waren überrascht und zugleich niedergeschlagen. Mit dieser Wendung des Geschehens hatten wir nicht rechnen können.
»Wo ist sie denn?«, fragte Ethan.
Seine Frau hob die Schultern und fing an
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