1342 - Die Totmacher
zu weinen.
Suko und ich wussten selbst, dass wir es den Eltern nicht überlassen konnten, die Mädchen zu befragen. Deshalb nahmen Suko und ich uns die drei vor.
Wir bückten uns ihnen entgegen, als ich die erste Frage stellte.
»War Wendy denn bei euch?«
Antwort gab mir ein Mädchen, in dessen Gesicht die Vampirschminke verlaufen war.
»Das war sie.«
»Und weiter? Wo ist sie jetzt?«
Ein Kind, das seine Totenschädelmaske aus Gummi noch in der Hand hielt, drehte sich zur Seite. Es hob den Arm an und deutete schräg über die Straße hinweg auf ein bestimmtes Haus, hinter dessen Fenstern im Erdgeschoss schwaches Licht zu sehen war.
»Ist sie dort?«
»Ja.«
»Und ihr seid auch dort gewesen?«
»Ja.«
»Warum hat man euch laufen lassen?«
»Der Totmacher will nur sie.«
In meinem Magen zog sich etwas zusammen, als ich den Begriff hörte. Zum Glück hatte das Kind geflüstert. So war es von Karen Blaine nicht verstanden worden. Wohl aber von ihrem Mann, der leicht schwankte. Er war bestimmt nicht in der Lage, weitere Fragen zu stellen. Das wurde mir überlassen, und ich drückte mich auch nicht davor.
»Was ist mit dem Totmacher?«
»Er hat ein Beil«, flüsterte das Vampirmädchen.
»Und damit will er Wendy umbringen?« Es war eine harte Frage, aber ich musste sie stellen, um so viel Klarheit wie möglich zu bekommen.
»Ja, will er. Aber nur, wenn ihr Vater nicht kommt.«
»Bitte?«
Das Vampirkind nickte. »Ja, so ist es. Ihr Vater soll kommen. Wenn nicht, stirbt sie.«
»Weißt du, wie der Mann heißt? Oder die Frau?«
»Nein, das weiß ich nicht.«
»Lou«, flüsterte das Kind mit der Frankenstein-Maske. Ich habe genau gehört, dass er Lou genannt wurde.
»Danke.«
Ich richtete mich wieder auf und hörte, dass ein Kind noch von einem Killer-Gannon sprach. Allerdings so leise, dass Ethan Blaine ihn nicht verstanden hatte.
»Was sagte er?«
»Killer-Gannon.«
Sekundenlang passierte nichts. Dann trat der Anwalt einen Schritt zurück. Er starrte dabei ins Leere, und wir hörten ihn aufstöhnen.
»Sie wissen Bescheid?«, flüsterte ich.
Er nickte langsam. Sein Blick war glanzlos geworden und sah aus, als wollte er jeden Moment anfangen zu weinen.
»Der Name sagt Ihnen was?«
»Ja, der sagt mir was.«
»Und?«
Blaine musste erst die richtigen Worte suchen. »Killer Gannon war ein widerlicher Verbrecher und Mörder. Ich hatte die Pflicht, ihn zu verteidigen, als er vor Gericht stand. Natürlich würde er verurteilt werden. Ich habe mein Bestes versucht, obwohl es mir persönlich gegen den Strich gegangen ist. Das Urteil des Richters lautete schließlich auf sechs Jahre Knast.«
»Gut. Und weiter?«
»Nach einem Jahr hat er sich umgebracht in seiner Zelle. Und wenn ich jetzt den Namen Lou Gannon höre, läuft es mir kalt den Rücken hinab. Ich muss einfach davon ausgehen, dass er ein Verwandter ist. Ein Bruder oder Cousin, der sich an mir rächen will. Und das auf Kosten meiner Tochter.«
Er stöhnte auf.
Jetzt wussten wir Bescheid. Oder glaubten es zumindest. Auch ich war geschockt und als ich einen Blick auf das alte Haus warf, rann es mir eisig den Rücken hinab. Ein Kind in den Klauen eines derartigen Verbrechers zu wissen, das ging mir gegen den Strich.
Beide Blaines waren fertig. Die Kinder standen wartend im Hintergrund und wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten.
Es musste etwas getan werden, um das Kind aus den Klauen dieser menschlichen Bestie zu bringen. Dieser Lou Gannon hatte es nicht geschafft, die Erwachsenen zu töten, jetzt nahm er dafür die Tochter des Paares.
»Ich werde hingehen«, flüsterte der Anwalt. »Ich werde alles tun, was er verlangt. Unsere kleine Wendy muss einfach am Leben bleiben. Das bin ich ihr schuldig.«
Karen, die ebenfalls zugehört hatte, gab keinen Kommentar. Das Entsetzen hatte ihr die Sprache verschlagen.
Ich schaute zum Haus hin. Es wurde von Nebelschwaden umwabert. Wer aus dem Fenster blickte, konnte nicht weit sehen.
Selbst uns nicht und darauf fußte mein Plan, der mir als eine fantastische Möglichkeit durch den Kopf schoss. Aber dabei musste mir der Anwalt helfen.
»Mr. Blaine«, sprach ich ihn an.
Er schrak zwar zusammen, ansonsten tat er nichts. Sein Blick war ins Leere gerichtet. Er schien ein Gefangener seiner Selbst zu sein.
Ich hatte Verständnis für ihn. Auf der anderen Seite konnte ich nicht so lange warten, sprach noch mal seinen Namen und fasste ihn dabei am Oberarm an.
»Bitte, Sie müssen mir
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