1344 - Fluchtburg der Engel
hin…
***
Linda Dorn richtete sich im Bett auf, als sie hörte, dass die Tür ihres Zimmers geöffnet wurde. Sie hatte noch nicht richtig geschlafen, nur gedöst, immer nur für Minuten, wie auch jetzt.
Sie richtete sich im Bett auf und sah die Gestalt an der Tür. »Bist du es, Wilma?«
»Ja.«
Linda Dorn ruckte noch höher. »Und was willst du von mir?«
Wilma schloss die Tür. »Ich muss mit dir reden.«
»O nein. Aber nicht über die Engel.«
»Doch. Und jetzt mach das Licht an!«
Linda kannte ihre Schwester zur Genüge. Wenn sie so sprach, gab es keinen Widerspruch. Das war schon so gewesen, als sie Kinder gewesen waren und Linda richtete sich auch jetzt danach.
Sie knipste das Licht der altmodischen Nachttischleuchte an, die einen Schirm aus Pergament besaß, der das Licht weich machte.
Die Schwestern schliefen in getrennten Zimmern. Aber die Einrichtung war in jedem gleich. Unter anderem gab es einen Stuhl, auf dem Wilma ihren Platz fand, nachdem sie die Kleidung von ihm weggeräumt hatte. Sie stellte den Stuhl dicht neben das Bett, setzte sich hin und schaute ihre Schwester an.
»Du siehst schlecht aus«, erklärte Linda. »Hast du schlecht geträumt? Nein, das kann nicht sein, du bist gar nicht im Bett gewesen.«
»So ist es, Schwesterherz«, flüsterte Wilma. »Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich einen Traum erlebt hätte. Nur war das alles leider kein Traum.«
»Wie meinst du das?«
»Ich habe Besuch von einem Engel bekommen!«
Linda sagte erst mal nichts. Nach einer Weile des Nachdenkens meinte sie: »Von Manon?«
»Nein, das hat damit nichts zu tun. Nichts mit ihr. Es war ein echter Engel.«
Linda war baff. »Wie…?«
»Ja, ein Engel.«
Lindas Hände bewegten sich unruhig über die Bettdecke hinweg.
Sie war immer skeptisch gewesen, was diese Dinge anging, doch nun kam sie ins Grübeln. Das lag auch an der Stimme ihrer Schwester, die geklungen hatte wie bei einem Menschen, der nicht lügt.
»Kannst du das denn genauer erklären?«
»Deshalb bin ich ja zu dir gekommen. Ich muss einfach mit dir darüber reden.«
»Gut, ich höre.«
Wilma hatte keine Geheimnisse vor ihrer Schwester. Sie erzählte alles. Linda hörte aufmerksam zu. Zunächst hatte sie lächeln wollen, dann jedoch rann ein Schauer nach dem anderen über ihren Rücken. Sie hielt die Augen staunend weit offen und schüttelte mehrmals den Kopf, sprach aber nicht dagegen.
»Ja, so ist es gewesen, Schwesterherz. Ich habe nichts hinzugefügt und auch nichts weggelassen.«
»Das ist ja Wahnsinn.«
»Nein, Realität.«
Linda flüsterte weiter. »Und mit dem Geruch. Stimmt das… stimmt das wirklich?«
»Ja.«
»Woher kam er denn?«
»Zuerst von meinem Besucher. Dann von etwas anderem.« Sie hob die Schultern. »Aber ich weiß wirklich nicht, woher er stammte. Es ist alles so fremd geworden.«
»Das kann ich mir denken. Und eine Erklärung hast du auch nicht dafür?«
»Nein.«
»Obwohl du dich so lange Jahre mit den Engeln beschäftigt hast? Du kennst sie. Du hast immer Beweise sammeln wollen, jetzt hast du sie, und plötzlich hat sich alles gedreht.«
Wilma nickte. »Das muss ich leider so sagen. Tut mir Leid, aber es ist so.«
Linda schaute auf das Fenster, aber doch mehr ins Leere. Mit tonloser Stimme fragte sie: »Was machen wir denn jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich bin völlig überfragt.«
»Ja, das glaube ich dir sogar.«
Es entstand zwischen den Schwestern eine Schweigepause. Nachdenklich krauste Wilma die Stirn, während sie auf ihre Hände schaute.
Linda hielt es schließlich nicht mehr aus. Mit fester Stimme sagte sie: »Ich habe noch nie in meinem Leben einen Engel gesehen. Jetzt will ich ihn begutachten.«
»Das freut mich. Deshalb bin ich auch gekommen. Ich möchte eine Zeugin haben.«
»Die hast du in mir.«
Linda Dorn schwang sich aus dem Bett und stand auf. Sie trug ein wollenes Nachthemd und griff nach ihrem Bademantel, den sie über das Unterteil des Betts gelegt hatte. Das dunkle Haar war zerzaust, doch das machte ihr nichts. Sie wollte endlich den Beweis haben.
»Komm.«
Die Schwestern verließen das Zimmer. Auf dem Weg nach unten hatte Wilma das Licht eingeschaltet. So mussten sie nicht im Dunkel in die erste Etage gehen.
In der ersten Etage war es still. Man hätte die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören können. Auch die Schritte der Frauen waren so gut wie nicht zu hören. Sie schlichen auf die Tür zu, hinter der der
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