1345 - Gruft der Erleuchtung
Moment, als Nikki den richtigen Bildschirm gefunden hatte, vertraute sich die erste Voica dem nun plötzlich aktivierten Antigravfeld an.
„Der Weg ist jetzt für sie frei", flüsterte Dao-Lin erschöpft und glücklich.
Nikki Frickel war nicht ganz so erfreut. Sie legte keinen gesteigerten Wert auf die Gesellschaft der Voica, denn sie befürchtete, daß die Wissenden die Gegenwart von zwei Fremdlingen bei einer so bedeutsamen Zeremonie wie der Erweckung des Schläfers nicht dulden würden.
„Was ist mit der Schlafkammer?" fragte sie.
„Sie wird sich in Kürze öffnen", verkündete Dao-Lin strahlend. „Die Erweckung hat bereits begonnen. Der Schläfer ist in gutem Zustand. Ich glaube nicht, daß es jetzt noch Probleme geben wird."
„Ich schon", murmelte Nikki.
Dao-Lin betrachtete sie verwundert und folgte ihren skeptischen Blicken zu dem Bildschirm hinauf. Gerade eben verschwand die letzte der siebzehn Voica im Schacht.
„Wir drei haben etwas schier Unglaubliches vollbracht", sagte die Kartanin ernst. „Ohne euch hätte ich es niemals geschafft."
„Und wir nicht ohne dich."
„Es war so, wie ich es erhofft hatte", bestätigte Dao-Lin. „Unsere Fähigkeiten haben sich ergänzt. Die Voica haben allen Grund, euch dankbar zu sein."
„Ich hoffe, daß sie das auch einsehen werden", murmelte Nikki säuerlich.
Sie wäre gerne zu der Tiefschlafkammer gegangen, um die Erweckung des Schläfers aus der Nähe zu beobachten, aber sie spürte, daß Dao-Lin damit nicht einverstanden gewesen wäre. Also hielt sie sich zurück.
Sie sagte sich, daß die Gefühle der Kartanin dem Schläfer gegenüber von fast schon religiöser Natur sein mußten. Wären nur die anderen Voica anwesend gewesen, so hätte Nikki sich herzlich wenig darum gekümmert.
Aber sie mochte Dao-Lin nicht kränken.
Die Erweckung schien allerlei Zeit in Anspruch zu nehmen. Die Voica trafen in der Gruft der Erleuchtung ein, und der Schläfer rührte sich noch immer nicht.
Unter ehrfürchtigem Gemurmel drängten sich die Wissenden um Dao-Lin und die Schaltpulte. Die beiden Galaktikerinnen beachteten sie nicht weiter.
„Ihre Dankbarkeit scheint mir enge Grenzen zu haben", murmelte Nikki vor sich hin und ging zu Poerl Alcoun, die noch immer schlief.
In diesem Augenblick regte sich der Schläfer in seiner transparenten Röhre.
Die Wissenden stöhnten leise auf und verstummten dann. Es schien, als würden sie sogar den Atem anhalten, und auch Dao-Lin gab keinen Laut von sich.
Nikki rüttelte Poerl wach.
„Komm endlich wieder zu dir!" flüsterte sie hastig. „Du verpaßt ja sonst alles."
„Ist er schon wach?" fragte Poerl schlaftrunken.
Einige der Wissenden drehten sich um und warfen empörte Blicke in die Richtung der beiden Frauen.
Wahrscheinlich fühlten sie sich durch deren Geflüster gestört.
Poerl durchschaute die Situation sofort und hielt den Mund. Nikki half ihr auf. Die Tefroderin lächelte, um anzudeuten, daß es ihr wieder besserging. Dann starrte sie ebenso gebannt zu der Tief Schlafkammer wie alle anderen auch.
Der Kartanin in der Kammer hob die Hände. Die Röhre öffnete sich der Länge nach, und die beiden Hälften schoben sich seitlich auseinander.
Der Schläfer schien zu zögern. Er hatte die Augen geöffnet und starrte zur Kuppel hinauf. Nach einer geraumen Zeit drehte er langsam den Kopf.
Sein Erinnerungsvermögen schien ungetrübt zu sein, denn er blickte sofort in die Richtung, in der sich der einzige Zugang zu seiner Gruft befand.
Er erblickte die Wissenden und starrte sie fast eine Minute lang an. Dann richtete er sich langsam auf.
Nikki Frickel betrachtete ihn fasziniert.
Der Schläfer war sehr groß und hager, aber bei weitem nicht so dürr und mumienhaft wie die Voica. Er war unzweifelhaft ein Kartanin. Dennoch wirkte er auf unbestimmbare Weise fremdartig.
Nikki Frickel brauchte geraume Zeit, bis sie erkannte, wodurch dieser Eindruck der Fremdartigkeit entstand. Sie hatte niemals einen asketischen Kartanin zu Gesicht bekommen, aber genau so sah dieses Wesen aus: wie ein Kartanin, der lange Zeit in Askese gelebt hatte. Der Schläfer wirkte ausgezehrt, aber dennoch kraftvoll. Im Vergleich zu allen anderen männlichen Kartanin, die Nikki bisher gesehen hatte, wirkte dieses Wesen hier außerordentlich maskulin.
Nikki Frickel sagte sich, daß dieser Kartanin aus einer Zeit stammte, in der die männlichen Mitglieder seines Volkes noch etwas zu sagen hatten und es noch keine Hohen Frauen und keine Voica
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