1350 - Im Wald der toten Gesichter
wir ein, aber nicht wie die Berserker, sondern so behutsam und leise wie möglich.
Natürlich schafften wir es nicht, lautlos zu gehen, aber wir wollten alle Geräusche so weit wie möglich reduzieren.
Wie dunkle Riesen standen uns die Bäume im Weg. Wir sahen sie zwar, aber nicht immer konnten wir ihren Armen ausweichen. Wir sahen nur zu, nicht an den Köpfen getroffen zu werden. Und so mussten wir uns oft genug ducken und auch die Füße sehr hoch anheben, weil der Waldboden sehr tückisch und voller Überraschungen war.
Viel konnte sich unter dem Laub verstecken. Sogar irgendwelche Fallgruben zogen wir ins Kalkül mit ein.
Es war leider nicht zu verhindern, dass wir mit unseren Schuhen hin und wieder den Boden aufwühlten. Da drang das Rascheln der Blätter an unsere Ohren.
Ein Ziel hatten wir. Aber keinen bestimmten Punkt hier im Wald.
Wir wollten zu all den Bäumen, in die Gesichter eingeschnitzt waren, und die konnten wir nicht übersehen.
Für uns waren sie so etwas wie Wegweiser innerhalb der Dunkelheit. Wir blieben auch nicht unbedingt dicht beisammen, sondern verteilten uns. So wurde die Kette zwischen uns breiter, und ich hatte mir einen Baum ausgesucht, dessen Standort relativ nahe aussah. Ich musste mich nach links wenden, um das leuchtende Gesicht zu erreichen. Nach ein paar Schritten war es geschafft.
Ich blieb vor dem »Kunstwerk« stehen!
Es war wie sonst!
Man hatte die Rinde entfernt und somit dieses Viereck gebildet.
Darin war das Gesicht eingeschnitzt. Wenn ich mich nicht zu sehr täuschte, war es das einer Frau.
Ich brauchte es nicht mit der Lampe anzuleuchten. Es strahlte wirklich hell genug, um auch Einzelheiten erkennen zu können.
Ein geschnitztes Gesicht. Sehr gut gemacht. Die Nase, die Augen, der Mund, scharfe Falten an den Wangen, sodass man das Gesicht wirklich als kleines Kunstwerk ansehen konnte.
Es gab bestimmt eine Frau in Braming, zu der es gehörte. Nur konnte ich mich an es nicht erinnern.
Ich wich wieder zurück und drehte mich zur Seite, weil ich Ausschau nach Bill und Suko halten wollte.
Im ersten Moment waren sie nicht zu sehen. Aber ich vernahm Bills Stimme, als er nach Suko rief.
Was das bedeutete, wusste ich. Bill musste das Gesicht unseres Freundes gefunden haben.
Ich hatte mir die Richtung gemerkt, aus der gerufen worden war.
Außerdem drehte sich ein heller Kreis durch die Luft, da eine Taschenlampe eingeschaltet worden war.
Als ich Bill erreichte, stand Suko bereits neben ihm. Beide schauten in Augenhöhe auf eine bestimmte Stelle im Baumstamm, und beide waren sehr ruhig geworden.
Der Reporter hatte die Leuchte verschwinden lassen. Das helle Viereck gab genug Licht ab.
Es war wie bei dem Bild, das ich vorhin gesehen hatte. Keine Veränderung. Bis eben auf das Motiv. Und das zeigte nicht das Konterfei eines Frauengesichts, sondern das meines Freundes Suko.
Hätte man mich nach meiner Meinung gefragt, ich wäre bestimmt ein Kompliment losgeworden. Korbinian hatte die Züge meines Freundes verdammt gut getroffen. Aus dem weichen Holz herausgeschnitzt oder auch in es hinein, so genau war das nicht zu erkennen.
Aber wir sahen die Nase, die Augen, den Mund und konnten nur staunen.
Ich sprach Suko an. »Was sagst du?«
Er hob die Schultern. »Leider gut. Ich bin immer gespannter darauf, den großen Künstler kennen zu lernen.«
»Frag mich mal.«
»Dein Konterfei habe ich noch nicht gesehen, John«, meldete sich Bill.
»Ich auch nicht.«
»Willst du weitersuchen?«
Ich lächelte kantig. »Und ob.«
»Aber was dann?«
Ich konnte mir vorstellen, was der gute Bill mit dieser Frage bezweckte. Er wollte wissen, ob ich es ebenso mit meinem Kreuz »angreifen« würde wie tagsüber den Baum.
Ich schüttelte als Antwort darauf den Kopf.
»Ja, es wird wohl besser so sein, John.«
Auch Suko nickte. Ich konnte mir vorstellen, das es für ihn ein verdammt komisches Gefühl sein würde, wenn ich das Kreuz einsetzte. Wir hatten beide erlebt, wie der Baum zusammengefallen war, und dann war auch der Wirt als Mensch plötzlich innerlich verholzt.
Da ich noch keine Entscheidung fassen wollte, sagte ich mit leiser Stimme: »Bitte, bleibt hier. Ich werde mein Bild suchen.«
Sie waren einverstanden, und jemand fragte, wie es danach weitergehen würde. Ich wusste es selbst nicht, denn ich wollte zunächst mit meinem eigenen Abbild konfrontiert werden.
Und so machte ich mich auf die Suche. Natürlich mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass ich auf Korbinian treffen
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