1350 - Im Wald der toten Gesichter
finden willst.«
»Er ist hier, Bill. Hier im Wald. Da kannst du sagen, was du willst. Er hält sich hier auf.«
»Und weiter?«
Ich winkte ab. »Nichts weiter. Er beobachtet uns. Davon bin ich überzeugt. Und deshalb sollten wir ihn locken. Wir müssen etwas tun, das ihn aus der Reserve lockt.«
»Zum Beispiel?«
»Indem wir seine Welt hier zerstören.«
Auf Bills Gesicht erschien ein Lächeln, das mir jedoch nicht ehrlich genug aussah. »Bravo«, sagte er, »eine tolle Idee. Darauf bin sogar ich schon gekommen.«
»Aber…?«
»Denk daran, was passiert, wenn du einen Baum mit dem Konterfei eines Menschen vernichtest. Dann wird der Mensch, dessen Gesicht wir in dem Baum geschnitzt sehen, sterben. Ist das wirklich die Lösung?«
Bill hatte Recht. Und ich hatte nicht weit genug gedacht. Es würde so eintreffen. Der Wirt Slim Packard war da wirklich das beste Beispiel gewesen.
»Klar, John?«
»Leider.« Ich strich über mein Gesicht. »Da müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.«
»Wird schwer sein.«
Das war mir klar, aber ich wollte auch nicht aufgeben und diesem Korbinian das Feld überlassen. Deshalb startete ich einen ersten Versuch, und den richtete ich gegen mich selbst.
Bills Augen weiteten sich, als er erkannte, dass ich das Kreuz doch einsetzen wollte. »Hör auf damit. Willst du dich selbst aus der Welt schaffen?«
Ich schaute ihn kurz an. »Glaubst du das wirklich?«
»Ja, ja.« Er war aufgeregt. Schweißperlen entdeckte ich auf seinem Gesicht.
»Nein, Bill, ich bin kein Selbstmörder, und ich will auch nicht dazu werden. Aber glaubst du im Ernst, dass sich mein Kreuz gegen mich, seinen Träger, richten wird?«
»Auch wenn es dir nicht passt, John, aber in diesem Fall halte ich alles für möglich.«
»Gut. Ich versuche es dennoch. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Du bist außen vor, du hältst mir den Rücken frei.«
Bill Conolly kannte mich. Er wusste, dass es bei mir einen Punkt gab, ab dem ich nicht mehr mit mir diskutieren ließ. Dieser Punkt war jetzt erreicht, und ich würde davon um keinen Deut abweichen.
Der Reporter zog seine Waffe. Die Lampe ließ er eingeschaltet, befestigte sie aber an seinem Gürtel.
Die nächsten Sekunden würden nicht nur für ihn schwer werden, sondern auch für mich. Bill war zudem mein ältester Freund, und zuzusehen, wie ich mich selbst ins Unglück hineinritt, war für ihn kaum zu ertragen.
Aber wir kannten uns beide lange genug. Wir hatten schon viel gemeinsam erlebt und durchgemacht. Auch in ausweglosen Situationen gesteckt, aus denen wir letztendlich doch noch entkommen waren.
Er hatte sich so hingestellt, dass er mich anschauen konnte und gleichzeitig zur Seite blickte, um etwas von der Umgebung unter Beobachtung zu haben.
Ich schaute mir das Gesicht an.
Ja, verdammt, das war ich.
Ich lebte, aber war das Gesicht tot oder von einem unheilvollen Geist der Hölle erfüllt?
Egal, ich musste ran, denn ein Zurück gab es nicht mehr für mich…
***
Ich hätte am liebsten die Augen geschlossen, doch das schaffte ich nicht. Ich wollte auch nicht daran denken, was im Extremfall passieren könnte, und ich war auch darauf gefasst, das Kreuz wieder zurückzuziehen, sollte ich irgendeine Veränderung an meinem Körper bemerken.
Es ging alles glatt. Das Kreuz lag in meiner Hand und schaute parallel daraus hervor. Ich brachte es in die Nähe des Gesichts, und das mit seinem oberen Balken. Dabei blickte ich über das Kreuz hinweg auf mein geschnitztes Abbild und suchte darin nach einer ersten Veränderung. Es wäre nicht ungewöhnlich gewesen, hätte ich schon jetzt eine Reaktion erlebt, doch es passierte nichts.
Das Gesicht blieb starr. Kein Zucken, kein Verschwimmen, auch keine Schreie und ähnliche Reaktionen.
Irrtum?
Ich glaubte es nicht. Trotzdem wurde ich mutiger. Zu lange warten brachte auch nichts. Da hätten mich die eigenen Gedanken nur noch mehr verunsichert.
Es passierte auf der Hälfte der Distanz. Plötzlich erschien das Licht an der Kreuzspitze. Es war nicht mehr als ein Funke, der auf dem Silber tanzte. Er wirbelte herum, er glitt von einer Seite zur anderen, und ich stoppte die Bewegung.
Geschah etwas mit dem Gesicht?
Nein, es blieb starr, und ich spürte auch keinen Angriff gegen mich.
Also machte ich weiter.
Ich führte das Kreuz noch näher heran. Schon nach einem Zentimeter merkte ich, was da passierte. Auf einmal rann von oben her meiner Hand der Wärmestrahl entgegen, und genau dieser Vorgang sorgte bei mir
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