1352 - Beute für den Sensenmann
Schwindel, der sie erfasste. Sie hatte das Gefühl, plötzlich abzuheben, aber sie blieb trotzdem stehen.
Nein, Orry sah nicht aus, als würde er schlafen. Er war tot. Man hatte ihn grausam umgebracht.
Rose Dunn erlebte jetzt, dass die Wirklichkeit doch anders war als die Filme, die sie sich anschaute. Da war alles gemacht. Aber Orry würde sich nicht mehr erheben und in die Kantine gehen, wenn der Dreh vorbei war. Er blieb als Toter auf der Couch liegen.
Das Zittern wurde so stark, dass Rose es nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ihre Zähne schlugen aufeinander.
Ich hätte nicht herkommen sollen!, dachte sie. Es ist einfach zu schlimm…
Rose Dunn schlich auf den Ausgang zu. Sie wusste wirklich nicht, was sie denken sollte, doch eines wollte ihr nicht aus dem Kopf. Das Bild, dass der Tote Orry geboten hatte, würde sie niemals in ihrem weiteren Leben vergessen.
An der Tür erwischte sie wieder die Vorsicht.
Der Mörder kehrt zurück!
Sie schaute nach draußen, sah ihren Ford und auch die Yamaha des Paars. Aber keine Menschen und auch kein Skelett, das auf der Suche nach weiteren Opfern durch die Dunkelheit schlich.
Die über dem Land liegende Stille war sicherlich normal, doch Rose stufte sie jetzt als eine Totenstille ein. Sie ahnte nun auch, woher der Begriff stammte.
Als sie ihren Wagen erreichte, atmete sie wieder tief durch. Etwas erleichterter fühlte sie sich schon. Nur hielt die Erleichterung nicht lange an, denn plötzlich hörte sie hinter sich eine Stimme.
»Wer bist du?«
***
Rose Dunn erschrak bis ins Mark. Allerdings sorgte dieses Erschrecken nicht dafür, dass sie auf der Stelle herumfuhr. Ihr Zusammenzucken bedeutete auch einen Ruck nach vorn, und zugleich senkte sie den Kopf.
»Ich habe dich was gefragt.«
Erst jetzt schossen ihr bestimmte Gedanken durch den Kopf. Mein Gott, der Mörder! Er ist wieder an den Ort seiner Tat zurückgekehrt.
Er will aufräumen. Er will dafür sorgen, dass noch eine weitere Leiche hinzukommt. Der Ford stand so nah, und trotzdem war er so weit von ihr entfernt. Sie traute sich nicht, die Tür aufzureißen und in das Auto zu steigen. Alles hatte sich in diesen schlimmen Augenblicken verändert. Die Wirklichkeit schien vor ihr weggezogen zu sein.
Und trotzdem drehte sich Rose um. Sie war darauf gefasst, auf dieses widerliche Skelett zu schauen, nun wunderte sie sich, dass plötzlich ein Mensch vor ihr stand.
Nein, das war alles andere als ein Skelett.
Ein Mensch – ein Mann!
Er schaute zu ihr hin, und sie schaute ihn an. Trotz der Dunkelheit sah sie mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte. Der Mann trug keinen dichten Bart. Er war normal gekleidet, aber das nur beim ersten Hinschauen. Als sie sich stärker auf ihn konzentrierte, bemerkte sie schon die seltsame Hose, die recht eng saß, an den Knien endete und durchaus als Beinkleid bezeichnet werden konnte, so wie man es in früheren Zeiten getragen hatte.
Der Mann hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewegt. Er wartete erst ihre Reaktion ab. Als sich da nichts tat, kam er langsam näher. Da fiel ihr sein bleiches Gesicht auf, und einen Moment später erschrak sie über die Stimme, die grollend klang und aus den Tiefen des Brustkastens zu kommen schien. »Was hast du hier verloren?« Mit dieser Frage hatte Rose Dunn nicht gerechnet, und so wunderte sich darüber, wie schnell sie eine Antwort geben konnte.
»Ich lebe hier.«
»Nein, in Cove.«
Der Bärtige nickte. »Es gibt viele Menschen, die in Cove leben, nicht wahr?«
»Eigentlich nicht so viele.«
»Hütet euch!«, flüsterte er rau. »Hütet euch vor der Vergangenheit, denn sie ist wieder da. Was einmal verschwunden ist, das muss verschwunden bleiben. Und wer sich nicht daran hält, der wird eine Beute für den Sensenmann. Denk daran.«
Ja, sie dachte. Aber Rose wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Was dieser Typ ihr da geraten hatte, kam ihr suspekt vor. Da passte ihrer Meinung nach einiges nicht zusammen, und trotzdem glaubte sie daran, dass es kein Spaß war.
Der Unbekannte schaute Rose aus nächster Nähe an. Sie bemerkte seinen kalten Blick und suchte nach einem Vergleich für seine Augen. Wie tote Augen, dachte sie. Ja, tote Augen…
Der unbekannte Mann wendete sich ab. Jetzt hätte Rose erleichtert sein müssen, doch dieses Gefühl überkam sie nicht. Sie stand mehr unter einem Druck und nahm ihre Umgebung auch weiterhin als Bedrohung war.
Der Unbekannte ging davon und schien bereits nach wenigen Metern von der Dunkelheit
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