1356 - Am Abgrund des Lebens
Hütte hatte er sich noch so gut wie möglich gesäubert. Er wollte nicht auffallen, wenn er die Klinik wieder betrat.
Es gab die Gier nach Blut in ihm. Aber es gab auch noch sein Menschsein und sogar ein Teil seines Verstandes. Er rechnete damit, Fragen gestellt zu bekommen und dachte bereits jetzt daran, sich auf die richtigen Antworten einzustellen.
Die Holzbude lag hinter dicken Baumstämmen versteckt. Er hatte sich dann aus seiner Deckung herausgetraut und wollte einen bestimmten Weg gehen. Dazu musste er zunächst die normale Zufahrt erreichen, um dann darauf zum Haus zu gehen.
Natürlich rechnete Nolan damit, dass man ihn fragen würde, wo er so lange gesteckt hatte. Er würde sagen, dass ihm schlecht geworden sei, und das musste man ihm zunächst glauben, denn besonders gesund sah er sicherlich nicht aus.
Tagsüber war die Klinik schwerer zu entdecken als in der Dunkelheit. Um diese Zeit am frühen Abend wurde in vielen Zimmern das Licht eingeschaltet, auch bei den Insassen, denn die Kollegen waren dabei das Essen zu verteilen. Dieses Ritual stand vor jedem Beginn der Nachtschicht. Er konnte den hellen Eingangsbereich bereits sehen und erkannte auch einige Kollegen, die nicht in diesem Haus lebten und Tagesschicht gehabt hatten. Sie waren zu dritt, als sie die Klinik verließen und zu ihren abgestellten Autos gingen.
Boris Nolan wartete so lange, bis sie abgefahren waren, erst dann ging er die letzten Meter. Er wusste, dass er jetzt in die Helligkeit hineintreten musste, doch dazu gab es keine Alternative, und deshalb ließ er sie so schnell wie möglich hinter sich.
Vor ihm schwappte die Tür auf. Noch immer musste er sich daran gewöhnen, dass er nicht mehr zu warten brauchte, und er hoffte, dass es nicht auffiel.
Er betrat die Klinik. Hinter der Rezeption hatte Adams seinen Dienst angetreten. Er war ein kleiner Mann mit dicken Muskelbergen und kurzen braunen Haaren.
Zuerst fiel ihm nicht auf, dass jemand die Klinik betreten hatte.
Dann bemerkte er eine Bewegung aus dem Augenwinkel und drehte sich nach links.
»Nein!«, rief er.
Nolan blieb stehen. »Wieso sagst du das?«
Adams trat an die Scheibe heran. »Du glaubst gar nicht, wie sehr man dich gesucht hat!«
»Wer denn?«
»An erster Stelle der Chef.«
»Zu dem will ich hin.«
»Würde ich dir auch raten. Und lass dir etwas Gutes als Ausrede einfallen.«
»Das muss ich gar nicht«, sagt Nolan, ohne näher darauf einzugehen. Dafür stellte er eine andere Frage. »Sind die Kollegen mit dem Essen schon durch?«
»Ja, das müssten sie. Warum?«
»Na ja, ich dachte, ich hätte helfen können.«
Adams betrachtete die Kollegen von oben bis unten. »Gut siehst du nicht eben aus.«
»Stimmt. Ich fühle mich auch bescheiden.«
»Soll ich den Chef anrufen, dass du…«
»Nein, bitte nicht.« Nolan wehrte mit beiden Händen ab. »Das möchte ich allein machen.«
»Wie du willst.«
»Dann bis später, Adams.«
Der nickte nur und schaute seinem Kollegen Nolan nach. Er hatte die Stirn gerunzelt und dachte nach. Worum sich konkret seine Gedanken drehten, konnte er auch nicht sagen, aber irgendetwas an Nolan war anders und nicht mehr wie sonst.
Sein Gang?
Adams überlegte. Ja, das konnte hinkommen, aber wer wusste schon, was er hinter sich hatte. Er dachte darüber nach, wie er mit seinem Kollegen gesprochen hatte.
Dabei hatten sie sich nicht direkt gegenübergestanden, aber ihm war trotzdem etwas aufgefallen. Beim Sprechen war es passiert.
Aber warum war das geschehen? Was hatte er anderes gemacht als sonst?
Adams überlegte. Er kam zu keinem Resultat, doch normal wie sonst war sein Kollege Nolan nicht mehr…
***
Gleich ruft er mich zurück! Gleich hat er genau über mich nachgedacht. Da ist ihm was aufgefallen…
Mit diesen Gedanken schritt Boris Nolan tiefer in den Bau hinein.
Er rechnete damit, angesprochen zu werden und hatte Glück, dass es nicht geschah. In den letzten Augenblicken hatte er sogar die Gier nach Blut vergessen, so groß war seine Anspannung. Sie kehrte jetzt wieder zurück, und in seinem Inneren spürte er wieder die Unruhe.
Es trieb ihn tiefer hinein in die Klinik. Sollte Adams glauben, dass er zum Chef wollte, er würde auch hingehen – später allerdings, denn er wollte auch bei ihm seine Zeichen setzen.
Sein Verschwinden war natürlich bemerkt worden. Und damit auch das Verschwinden der Schlüssel, die sich in seinem Besitz befanden. Nicht alle Pfleger besaßen sie. Man musste schon das Vertrauen des Chefs
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