1356 - Am Abgrund des Lebens
Rechnung. Er verschwand und tauchte plötzlich wieder auf. Dabei habe ich ihn nicht mal gesehen. Das sollte erst noch passieren.«
»Und es ist noch etwas passiert«, sagte ich.
»Ach. Was denn?«
»Seine Kleidung war schmutzig. Das wurde uns jedenfalls von Mr. Adams so mitgeteilt.«
Dr. Turgis war erstaunt. Er schüttelte den Kopf. »Äh… richtig begreifen kann ich das nicht. Wieso schmutzig?«
»Das haben wir auch nicht herausgefunden, aber es ist nun mal so. Er muss sich draußen herumgetrieben haben. Den ganzen Tag über. Erst als es dunkel wurde, kam er wieder zurück. Und dann ist er schnurstracks zu dieser Zelle gegangen, um van Akkeren zu befreien. So sehe ich die Dinge, und ich glaube nicht, dass ich mich irre.«
Der Arzt suchte nach Worten, er schaute seine Leute an, die ihm auch keinen Rat geben konnten, und schließlich deutete er hoch zur Überwachungskamera.
»Wenn das alles so klar ist, wie Sie es mir sagen, dann hätte die Kamera etwas aufzeichnen müssen.«
»Ja«, sagte Suko. »Genau das ist der zweite Punkt, über den wir mit Ihnen sprechen müssen. Sie hätte etwas registrieren und aufnehmen müssen; wie wir aber von Mr. Adams erfahren haben, hat sie nichts aufgezeichnet. Stellen Sie sich das vor. Die Kamera hat nichts aufs Band bekommen oder nur etwas. Wir hörten von einem seltsamen Schatten, mehr nicht. Und verhängt worden ist die Kammer auch nicht. Oder haben sie beim Betreten etwas anderes gesehen?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Sehen Sie?«
Der Arzt konnte es nicht glauben. Er fragte sich selbst, ob die Kamera noch funktionierte, was der Fall war, und dann stand er hilflos vor uns und flüsterte: »Es ist wie verhext. Ich weiß mir keinen Rat mehr. Es steht fest, dass van Akkeren weg ist. Dass man ihn befreit hat, was in dieser Klinik noch nie vorgekommen ist…«
»Jammern hilft nicht, Doktor«, sagte ich. »Wir müssen uns an die Tatsachen halten und unsere Schlüsse daraus ziehen.«
»Und welche ziehen Sie?«
Ich hatte schon welche gezogen und grübelte bereits über eine Erklärung nach. Sie allerdings dem Arzt plausibel zu machen, würde verdammt schwer sein.
»Wir wissen, dass die Kamera technisch einwandfrei funktionierte, aber sie hat trotzdem nicht die Person aufgezeichnet, die dann diese Zelle hier betrat.«
»Warum nicht?«
»Weil das nicht möglich war.«
Der Arzt schüttelte den Kopf. Er wollte dagegen sprechen, aber Suko kam ihm zuvor. »Sie werden es kaum glauben, Doktor, aber es gibt tatsächlich Personen oder Wesen, die für eine Kamera nicht zu erfassen sind.«
»Ach.« Er versuchte ein Lächeln. »Und wen meinen Sie damit? Wer gehört dazu?«
»Keine Menschen.«
»Aber van Akkeren ist ein Mensch und Boris Nolan ebenfalls. Was erzählen Sie denn da?«
Sein Ärger war verständlich, und Suko warf mir zunächst einen fragenden Blick zu. Als ich nickte, sprach er weiter.
»Derjenige, der van Akkeren befreit hat, ist kein Mensch mehr gewesen.«
»Ach, was dann?«
»Ein Dämon möglicherweise. Einer, der sich nicht auf einen Film bannen lässt.«
»Und das gibt es? Daran glauben Sie?«
»Ja, warum nicht?«
Dr. Turgis lachte und winkte dabei ab. »Und wer sollte er dann gewesen sein?«
»Ein Vampir, zum Beispiel«, sagte ich.
Bisher hatte der Arzt den Mund nicht geschlossen gehabt. Nun aber klappte er ihn zu. Es war zu hören, wie er scharf Luft holte.
Dann schüttelte er den Kopf.
»Was sagen Sie denn da für ein Unsinn, Mr. Sinclair? Ein Vampir? Einer der sich vom Blut der Menschen ernährt?«
»So muss man es sehen.«
»Aber das sind Ammenmärchen.« Er schaute mir fast flehend in die Augen, damit ich seine Aussage bestätigte.
Das konnte ich nicht. »Nein, Doktor, so gern auch wir das für Ammenmärchen halten würden, in diesem Fall sind es keine. Gut, wir haben nicht den hundertprozentigen Beweis, aber alles deutet darauf hin, dass van Akkeren von einem Vampir aus der Zelle herausgeholt worden ist.«
»Aber sie haben von Boris Nolan, dem Pfleger, gesprochen Mr. Sinclair.«
»Das habe ich auch. Und weil ich das getan habe, gehe ich davon aus, dass er derjenige gewesen ist, der van Akkeren als Vampir befreit hat. Nolan ist in der Zeit, in der er verschwunden war, zu einem Vampir geworden. Eine andere Möglichkeit sehen wir nicht.«
Dr. Turgis hatte jetzt die Wahrheit erfahren. Er schaute mich noch immer ungläubig an und strich dabei mit einer Hand über seinen Hals hinweg, als wollte er nach Bissstellen suchen.
»Nolan ein Vampir,
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