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1356

1356

Titel: 1356 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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zu Hause bei seiner Mutter. «Was war das?», fragte er.
    Michel starrte den langen Gang hinunter. Der Junge sagte nichts. Dann echote eine wütende Stimme durch den Gang, und das weckte Roland endgültig. Er rollte sich von der Bank und griff nach seinem Schwert. «Eure Stiefel, Sire?», sagte Michel und hielt sie ihm entgegen, doch Roland war schon losgerannt. Ein Mann am anderen Ende des Ganges blickte sich alarmiert um, aber sonst schien niemand von dem Schrei und dem wütenden Ruf aufgeschreckt worden zu sein. Roland stieß die Tür des Weinlagers auf und erstarrte.
    Der Raum war beinahe vollständig dunkel, weil die Kerzen umgestoßen worden waren, aber in dem schwachen Licht sah Roland Genevieve auf dem Tisch sitzen, die Hand über ein Auge gelegt. Ihr zerrissenes Kleid war ihr auf die Hüfte hinabgerutscht. Vater Marchant lag mit blutender Lippe auf dem Rücken, ein geköpfter Falke zuckte auf dem Boden, und Sculley grinste. Robbie Douglas stand mit gezogenem Schwert über dem Priester, und noch während Roland den Anblick zu fassen versuchte, schlug der Schotte erneut mit dem Heft des Schwertes auf Marchant ein. «Du Bastard!»
    Hugh weinte, aber als er Roland sah, der ihm Geschichten erzählt hatte und den er deshalb mochte, rannte er zu ihm und klammerte sich an sein Bein, während Robbie den Priester ein drittes Mal schlug, sodass Marchants Hinterkopf heftig an ein Weinfass stieß. «Du hast ihr das Auge aushacken lassen, du Bastard», schrie Robbie.
    «Was …», begann Roland.
    «Wir müssen weg!», rief Genevieve.
    Sculley schien sich über das zu freuen, was er vor sich sah. «Hübsche Titten», sagte er zu niemandem im Besonderen, doch diese Worte schienen Robbie klarwerden zu lassen, was er getan hatte.
    «Wohin weg?», fragte er.
    «Suchen wir uns ein Loch und graben uns ein», lautete Sculleys Rat, dann sah er wieder Genevieve an. «Ziemlich klein, aber hübsch.»
    «Was ist passiert?», brachte Roland endlich heraus.
    «Der Bastard wollte ihr die Augen aushacken lassen», sagte Robbie.
    «Ich mag Titten», sagte Sculley.
    «Sei still», knurrte Robbie. Er hatte geglaubt, im Orden des Fischers eine Aufgabe und spirituellen Frieden gefunden zu haben, doch der Anblick des Falken, der seinen Schnabel in Genevieves Auge hackte, hatte ihm selbst die Augen geöffnet und ihn erkennen lassen, was er getan hatte, aber nun würde er es wiedergutmachen. Und so hatte er sein Schwert aus der Scheide gerissen, dem Falken mit einem Hieb den Kopf abgeschlagen, sich dann zu Vater Marchant umgedreht und ihn mit dem Heft des Schwertes niedergestoßen, sodass dem Priester Zähne abbrachen und die Lippen aufplatzten. Jetzt aber wusste er nicht mehr, was er tun sollte.
    «Wir müssen hier weg», sagte Genevieve erneut.
    «Wohin?», wiederholte Robbie.
    «Ein sehr tiefes Loch», sagte Sculley belustigt, dann sah er Robbie stirnrunzelnd an. «Kämpfen wir gegen irgendwen?»
    «Nein», sagte Robbie.
    «Hol meinen Umhang», befahl Roland seinem Knappen, und als Michel das Kleidungsstück gebracht hatte, legte er es um Genevieves nackte Schultern. «Es tut mir leid», sagte er.
    «Es tut Euch leid?»
    «Ihr habt unter meinem Schutz gestanden», sagte er, «und ich habe versagt.»
    Robbie sah Roland an. «Wir müssen gehen», sagte er angstvoll.
    Roland nickte. Ebenso wie Robbie schien ihm die Welt auf dem Kopf zu stehen. Verzweifelt überlegte er, was er tun sollte, was das Richtige war. Die Frau war eine Ketzerin, und an diesem Abend erst hatte er vor Gott geschworen, dem Orden des Fischers treu zu sein, doch nun lag der Ordenskaplan blutend und stöhnend vor ihm, und die Ketzerin sah ihn mit einem Auge an, das andere bedeckte sie immer noch mit der Hand, und Roland wusste, dass er sie retten musste. Er hatte ihr seinen Schutz versprochen. «Wir müssen gehen», wiederholte er Robbies Worte.
    Beiden war bewusst, dass sie sich mitten in einer Burg befanden, die sich unversehens in einen feindlichen Ort verwandelt hatte, doch als Roland in den Gang hinausspähte, war dort niemand, und der Lärm aus dem großen Saal, in dem immer noch Männer beim Wein saßen, war sicher laut genug gewesen, um Genevieves Schrei zu übertönen. Roland schnallte seinen Schwertgürtel fest. «Wir gehen einfach», sagte er und klang beinahe erstaunt.
    «Eure Stiefel, Sire», sagte Michel.
    «Dafür ist keine Zeit», sagte Roland. Panik stieg in ihm auf. Wie sollten sie nur entkommen?
    Vater Marchant versuchte sich aufzurichten, und Robbie drehte

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