1356
nächste Dorf lag eine Meile entfernt, und das Tal unterhalb der Mühle wirkte abgeschieden. «Wenn wir in zwei Tagen nicht zurück sind», sagte Thomas zu Karyl, «schickt jemanden, der feststellt, was geschehen ist, und holt Unterstützung aus Castillon. Und verhaltet euch ruhig hier. Wir wollen nicht, dass uns die Stadtwache einen Trupp Männer schickt.» Die Stadt war nicht mehr weit entfernt, das sah man an dem Rauch, der etwas südlich am Himmel hing.
«Und wenn uns irgendjemand fragt, was wir hier machen?»
«Dann könnt ihr euch in der Stadt keine Unterkunft leisten und wartet hier, um die Männer des Comtes d’Armagnac zu treffen.» Der Comte war der größte Grundherr in Südfrankreich, und niemand würde es wagen, einen Streit mit Männern anzufangen, die ihm dienten.
«Es wird keinen Ärger geben», sagte Karyl grimmig, «das verspreche ich.»
Thomas, Genevieve, Hugh und Bruder Michael ritten in Begleitung von zwei Waffenknechten und Galdric weiter und kamen gegen Abend nach Montpellier. Die beiden Hügel der Stadt, ihre Kirchtürme und ihre ziegelgedeckten Bastionen warfen lange Schatten. Die Stadt war von einer hohen, hellen Steinmauer umgeben, an der Banner mit dem Bild der Jungfrau und ihrem Kind hingen. Andere Flaggen zeigten auf weißem Feld einen Kreis, der so rot war wie die untergehende Sonne. Vor der Stadtmauer lag ein breiter Streifen unkrautüberwuchertes Ödland, zwischen dem Unkraut Aschehaufen, und an manchen Stellen zeigten gemauerte Herde, wo einst Häuser gestanden hatten. Eine alte, gebeugte Frau mit einem schwarzen Schal um den Kopf grub in der Nähe einer solchen Kochstelle im Boden. «Habt Ihr hier gewohnt?», fragte Thomas.
Sie antwortete auf Okzitanisch, einer Sprache, die Thomas kaum verstand, aber Galdric übersetzte. «Sie hat hier gewohnt, bis die Engländer gekommen sind.»
«Die Engländer waren hier?», fragte Thomas erstaunt.
Anscheinend war der Prince of Wales im Vorjahr bis in die Nähe Montpelliers gezogen, sogar bis in die unmittelbare Nähe der Stadt, weshalb die Stadtverordneten jedes Gebäude hatten niederbrennen lassen, das vor der Stadtmauer lag, um den Engländern keine Verstecke für ihre Bogenschützen und Belagerungsmaschinen zu bieten. Im letzten Moment jedoch war die zerstörerische Armee abgeschwenkt. «Frag, was sie hier sucht», sagte Thomas.
«Irgendetwas», lautete die Antwort, «denn sie hat alles verloren.»
Genevieve warf der Frau eine Münze zu. Eine Glocke in der Stadt läutete, und Thomas fürchtete, es könnte das Zeichen zum Schließen der Stadttore sein, also trieb er seine Gruppe vorwärts. Eine Reihe Fuhrwerke, die mit Balken, Fellen und Fässern beladen waren, wartete am Tor, aber Thomas ritt an ihnen vorbei. Er trug eine Rüstung und ein Schwert, und das wies ihn als einen Mann von privilegiertem Stand aus. Galdric, der dicht hinter ihm ritt, entrollte ein Banner, auf dem ein Falke zu sehen war, der eine Garbe Roggen in den Fängen hielt. Es war das alte Wappen von Castillon d’Arbizon und sehr nützlich, wenn Thomas seine Loyalität dem Earl of Northampton gegenüber oder sein Kommando über die Hellequin lieber nicht zur Schau stellen wollte.
«Euer Anliegen, Sire?», fragte eine Torwache.
«Wir sind auf einer Pilgerreise», sagte Thomas, «und wollen beten.»
«Schwerter müssen in der Stadt in der Scheide bleiben, Sire», sagte der Wächter respektvoll.
«Wir sind nicht zum Kämpfen hier», sagte Thomas, «nur zum Beten. Wo finden wir ein Gasthaus?»
«Geradeaus bei der Kirche Saint Pierre gibt es viele. Das mit dem Wappen von Sankt Lucia ist das beste.»
«Weil es Eurem Bruder gehört?», riet Thomas.
«Ich wünschte, so wäre es, Sire, aber es gehört meinem Cousin.»
Thomas lachte, warf dem Mann eine Münze zu und ritt unter den hohen Torbogen. Das Hufgeklapper seines Pferdes hallte von den Gebäuden zurück, die Glocke läutete immer noch, und Thomas ritt in dem Fäkaliengestank, der in vielen Städten herrschte, auf die Kirche Saint Pierre zu. Ein Mann in einem rot-blauen Wappenrock, der eine Trompete in der Hand hielt, an deren Schallrohr das Panier der Jungfrau hing, rannte an den Pferden vorbei. «Ich bin spät dran!», rief er Thomas zu.
Die Männer an den Toren begannen, die Flügel zuzuschieben. «Ihr müsst bis morgen warten!», riefen sie den Fuhrleuten zu.
«Wartet!», rief ein anderer Wächter, weil acht Reiter über die Freiflächen herankamen. Die Hufe ihrer Pferde wirbelten Aschewolken auf, als sie
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