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Aussage zurück. Trifft sie zu, oder trifft sie nicht zu? Irgendjemand?»
Ein bleicher junger Mann, dessen Kappe und Gewand makellos rein waren, räusperte sich, und die meisten anderen Studenten stöhnten. Der bleiche Jüngling, mager wie eine verhungerte Ratte, war offenkundig der strebsame Student, dessen Leistungen die Anstrengungen der Übrigen in den Schatten stellten. «Augustinus», sagte er, «lehrt uns, dass Gott nur denjenigen die Sünden erlässt, die getauft sind.»
«Ergo?»
, fragte Doktor Lucius.
«Demzufolge», sagte der junge Mann mit deutlicher Betonung, «ist das Kind zur Hölle verdammt, denn es wurde mit Sünde behaftet geboren.»
«Also haben wir damit unsere Antwort?», fragte Doktor Lucius nach. «Gegründet auf die Kenntnisse unseres Magisters de Beaufort», der bleiche Jüngling lächelte und mühte sich um einen bescheidenen Gesichtsausdruck, «und auf den gesegneten Augustinus. Sind wir alle einverstanden? Können wir nun zur Erörterung der Kardinaltugenden übergehen?»
«Wie kann ein Säugling zur Hölle fahren?», fragte Magister Keane angewidert. «Was hat er getan, um das zu verdienen?»
«Er wurde von einer Frau geboren», antwortete der Student namens de Beaufort streng, «und weil ihm das Taufsakrament fehlt, ist das Kind verdammt, für die Schuld der Sünde zu leiden, mit der es dadurch behaftet ist.»
«Magister de Beaufort kommt zum Kern des Arguments, nicht wahr?», fragte Doktor Lucius.
«Gott steht nicht unter dem Gebot der Sakramente», warf plötzlich Thomas ein, der wie alle anderen Latein sprach.
Es herrschte Stille, als alle ihren Blick auf den Fremden richteten, der mit hartem Gesichtsausdruck an einer Säule hinten im Kreuzgang lehnte. «Und wen haben wir da?», fragte Doktor Lucius. «Ich gehe davon aus, dass Ihr bezahlt habt, um meine Vorlesung zu hören.»
«Ich bin hier, um zu sagen, dass Magister de Beaufort nichts als Mist im Kopf hat», erklärte Thomas, «und die Schriften Aquins entweder nicht verstanden oder nicht gelesen hat, der uns versichert, dass Gott nicht an die Sakramente gebunden ist. Gott, und nicht Magister de Beaufort, wird über das Schicksal des Säuglings entscheiden, und Paulus sagt uns in seinem ersten Korintherbrief, dass Gott ein Kind heiligt, das von einem Paar abstammt, dessen einer Teil Heide ist. Und Augustinus erklärt in
Vom Gottesstaat
, dass die Eltern des toten Kindes einen Weg finden können, um seine Seele reinzuwaschen.»
«Können, nicht werden», kläffte de Beaufort.
«Seid Ihr Priester?» Doktor Lucius achtete nicht auf de Beaufort und wandte sich an Thomas, der einen schwarzen Umhang trug.
«Ich bin Soldat», sagte Thomas. Er zog den Umhang auf, sodass sein Kettenhemd sichtbar wurde.
«Und Ihr?», fragte Doktor Lucius Bruder Michael, der sich unbehaglich unter einen Bogen des alten Kreuzgangs zurückgezogen hatte. «Seid Ihr mit ihm gekommen?», fragte Doktor Lucius und deutete auf Thomas.
Bruder Michael wirkte verwirrt. «Ich suche die Medizinische Fakultät», stammelte er.
«Die Knocheneinrichter und Pisseschnüffler halten ihre Vorlesungen in Saint Stephane.» Magister de Beaufort feixte, und der Doktor richtete seinen Blick wieder auf Thomas. «Ein Soldat, der Latein spricht!», sagte der Dominikaner mit gespieltem Erstaunen. «Gott sei gepriesen, denn wahrhaftig, das Zeitalter der Wunder scheint wiedergekehrt. Solltet Ihr nicht gerade jemanden töten?»
«Dazu komme ich noch», sagte Thomas, «nachdem ich Euch eine Frage gestellt habe.»
«Und nachdem Ihr für meine Antwort bezahlt habt», gab Doktor Lucius zurück, «aber im Moment», er zog mit einer Geste die Aufmerksamkeit der Studenten auf sich, «auch wenn ich keinen Zweifel daran habe, dass unser Gast», er hob seine tintenfleckige Hand in Thomas’ Richtung, «seine Auseinandersetzungen auf dem Schlachtfeld durch rohe Gewalt für sich entscheidet – in dieser Angelegenheit irrt er vollständig. Ein ungetauftes Kind ist zu den ewigen Höllenqualen verdammt, und Magister de Beaufort wird uns nun auseinandersetzen, weshalb. Erhebt Euch, Magister de Beaufort, und klärt uns auf.»
Der bleiche Student sprang auf. «Der Mann», sagte er selbstsicher, «ist nach Gottes Ebenbild geschaffen, nicht aber die Frau. Das Kirchenrecht ist in dieser Unterscheidung unmissverständlich. Ich zitiere aus dem
Corpus Iuris Canonici
, um diese Behauptung zu unterstützen.» Doch bevor er das Kirchenrecht rezitieren konnte, wurden laute Schritte aus dem offenen
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