136 - Zigeunerspuk
Und wenn Coco ein wenig nachhalf, würde es vermutlich nicht einmal Narben geben.
Sie kleidete sich an und verließ ihr kleines Abteil im Wohnwagen. Draußen brannte ein großes Feuer. Zwei Männer spielten Geige und Gitarre, und Natalie tanzte. Aber Raffael und seine Söhne suchte Coco in Feuernähe vergebens.
Sie fand Matteo mit verbundenem Arm zusammen mit Raffael in dessen Abteil. Louretta sprach mit Raffael. Die Unterhaltung brach sofort ab, als Coco eintrat.
„Du solltest noch liegen bleiben", sagte Louretta sofort. „Du bist ja blaß wie der Mond!"
Coco schüttelte den Kopf. „Mir geht's wieder blendend", log sie. Dabei fühlte sie die Schwäche immer noch, zugleich aber auch eine Unruhe, die von nahender Gefahr kündete. Es war noch längst nicht ausgestanden. Das hier war nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm.
Aber jede verstreichende Minute, in der sie sich erholen konnte, stärkte sie wieder.
„Ich werde meinen Arm ein paar Tage lang nicht gebrauchen können", sagte Matteo. „Er ist halb gelähmt. Die nächste Zeit kann ich nicht auftreten."
„Du wirst Muskeltraining machen", bestimmte Raffael. „Jede Stunde setzt du dich zehn Minuten lang hin und versuchst, deinen Arm wieder fit zu bekommen. Ich möchte wissen, was es war, das dich so gelähmt hat. War die Bestie vielleicht eine Art Zitteraal?"
Coco schüttelte den Kopf. „Sicher nicht. Aber es muß eine dämonische Kreatur gewesen sein. Und sie ist fort - was ist mit dem Ledermann?"
„Ich weiß nicht, was wir mit ihm machen sollen", sagte der Sippenchef. „Er sitzt nur da und brütet stumm vor sich hin. Sollen wir ihn der Polizei übergeben, weil er auf dich geschossen hat? Aber dann wird man fragen, was wir auf der Lichtung wollten. Der Verdacht gegen uns wird sich erhärten. "
„Himmel, die Pistole", entfuhr es Coco. „Sie ist mir beim Kampf aus der Hand gefallen. Sie muß noch auf der Lichtung liegen."
Matteo griff in die Tasche und warf die Zimmerflak in die Luft, um sie wieder aufzufangen. „Ich 'habe das Ding mitgebracht. Läßt sich bei weitem nicht so gut werfen wie ein Messer. Trotzdem bin ich irgendwie dagegen, ihm das Ding zurückzugeben."
„Wirfs in den Abfall", schlug Louretta vor.
„Wo ist der Ledermann?" wollte Coco wissen. „Vielleicht kann ich etwas aus ihm herausholen." „Willst du ihn damit ins Krankenhaus bringen wie Madame Zarina? Ich bin sicher, daß er auch unter dem Bann des Dämons steht."
„Ich auch", sagte Coco. „Aber er dürfte um einiges widerstandsfähiger sein als die alte Frau."
„Er ist nebenan", sagte Raffael trocken.
Der Mann machte einen geistesabwesenden Eindruck. Aber im gleichen Moment, als Coco eintrat, begann er an seinen Fesseln zu reißen, wollte aufspringen und sich auf die Hexe werfen. Raffael stieß ihn zurück auf das Lager, das eigentlich Andrej für sich beanspruchte, der jetzt irgendwo draußen um das Lager patrouillierte.
„Er ist total darauf fixiert, mich umzubringen", sagte Coco.
Sie machte eine schnelle Handbewegung und zwang damit den Mann, mit seinem Blick ihrer Hand zu folgen. So stellte sie Augenkontakt her. Im nächsten Moment hatte sie ihn unter hypnotischer Kontrolle.
Sie nahm sich nicht die Zeit, sich vorsichtig in seinen Geist zu tasten. Das kostete sie zuviel Kraft. Und sie wollte sich nicht vorzeitig verausgaben. Sie war sicher, daß sie ihre Energien noch brauchen würde, und das sehr bald.
Sie stieß sofort zum Zentrum vor.
Es war, anders als bei Madame Zarina. Bei der Wahrsagerin hatte sie sich mit deren medialen Fähigkeiten kurzschließen können. Hier lag eine solche Möglichkeit nicht vor. Coco mußte selbst vordringen. Sie stellte ihre Fragen mit unwiderstehlichem Zwang.
Aber es war wie auf der Lichtung. Der Hypnotisierte erging sich lediglich in Beschreibungen. Coco wandte sich an Raffael. „Wie sah dieser Gerard Despense aus?"
Raffael beschrieb ihn ihr. Coco wiederholte die Beschreibung, weil Georges Charieux nur auf ihre Stimme reagierte. Er bestätigte. Damit war klar, daß der Dämon in Despenses Gestalt geschlüpft war. Der Verdacht hatte sich damit erhärtet. Coco sah, daß sie den Bann nicht zerbrechen konnte, unter dem Charieux stand. Aber sie konnte ihm einen weiteren Befehl einpflanzen: Coco vorerst in Ruhe zu lassen und abzuwarten, bis sich eine günstigere Gelegenheit böte. Dieser hypnotische Befehl hatte Dauerfunktion. Sobald Charieux Coco sah, würde der Mordbefehl des Dämons in ihm sich einschalten, er zugleich aber
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