1361 - Sheilas Horrorzeit
bereits die einzelnen Gondeln und sogar die freien Räume zwischen ihnen. Als normaler Mensch hätte sie sich vielleicht über den Anblick gefreut. So aber blieben ihre Blicke einfach nur leer.
»Gefällt es dir?«
»Ja, schon.«
Saladin lachte und sagte dann: »Dir wird es bald noch besser gefallen, denn du darfst fahren.«
»Gut.«
»Du wirst dich ganz normal verhalten. Geld hast du, um dir einen Fahrchip zu kaufen?«
»Ja, das habe ich.«
»Gut, Sheila, dann weißt du Bescheid. Ab jetzt wirst du allein weitergehen. Ich allerdings bleibe nicht hier stehen. Ich werde in der Nähe sein, Sheila. Gut?«
»Ja, das ist gut.«
»Dann geh jetzt!«
Sheila schaute Saladin noch einmal an. Da hatte er den Eindruck, dass sein Bann nicht stark genug war und brechen würde. Das passierte jedoch nicht. So blickte er Sheila nach, die in Richtung Riesenrad und damit ihrem Tod entgegenschritt…
***
Daran allerdings dachte sie nicht. Sie dachte an überhaupt nichts und setzte kurzerhand einen Schritt vor den anderen. Menschen überholten sie oder kamen ihr entgegen. Fremde Gesichter von Männern, Frauen und Kindern.
Über ihr dunkelte der Himmel immer weiter ein. Die Dämmerung kam wie ein Vorhang, der sich nicht stoppen ließ. Je dunkler es wurde, umso heller strahlten die Lichter am Rad.
Sheila war kein Zeitpunkt vorgegeben worden, und so sah sie auch keinen Grund, sich zu beeilen. Sie schlenderte mehr als sie ging und geriet so in die Nähe der Kioske und Verkaufsbuden. Sie sah die Lokale, verspürte allerdings nicht den Drang, dort hineinzugehen, um etwas zu trinken.
Wichtig war das Rad!
Vor einem Kiosk blieb sie stehen und tat so, als würde sie sich die Auslagen anschauen. Tatsächlich blickt sie an den Drehständern vorbei und beobachtete das Rad.
Von ihm strahlte eine ungewöhnliche Faszination ab, der sie sich nicht entziehen konnte und auch nicht wollte, denn ihre Gedanken drehten sich allein darum, und sie verband es mit ihrem Schicksal.
Einen Grund dafür wusste sie nicht. Es war nun mal so, und Sheila Conolly nahm es ganz einfach hin.
Es drehte sich fast ohne Unterbrechung. Wie ein Kreislauf des Lebens, der nach einer Pause immer wieder neu begann, nachdem die Altlasten abgestreift worden waren.
Bei dem Gedanken an das Ende verspürte Sheila einen Stich in der Herzgegend. Sie taumelte leicht zur Seite, bevor sie ihren Fuß wieder fest auf den Boden stellte und sich fing. Für den winzigen Augenblick hatte sie das Gefühl gehabt, aus ihrer Lage hervorgerissen zu werden. Sie war in diesem Moment zu einer anderen Person geworden. Sie war leicht irritiert.
Sheila dachte nicht weiter über dieses Phänomen nach. Dafür hielt sie die Wirklichkeit wieder fest. Jetzt war ihr bewusst, dass sie den Gürtel trug. Sie merkte seinen Druck. Unwillkürlich tasteten ihre Hände an den Seiten entlang, hüteten sich jedoch, die schwarze Erhebung zu berühren, die wie ein kleiner Kasten aussah, der sich in Höhe des Bauchs befand und von dem sie noch die Finger ließ.
Sie wusste genau, dass sie es nicht durfte. Man hatte es ihr gesagt, und sie würde sich daran halten.
Sheila löste sich aus der Nähe des Kiosks. Allerdings nicht, weil sie es selbst wollte, es war einfach so. Sie ging auch jetzt langsam weiter, und ihre Stirn war gerunzelt. Wie bei einem Menschen, der über etwas intensiv nachdenkt.
Sie tat das nicht. Auch ein Versuch hätte ihr nichts gebracht. Es war nicht sie selbst, die dafür sorgte, dass sie einen Schritt vor den anderen setzte. Zwar ging sie weiter, aber sie fühlte sich wie an einem Band befestigt, dass sie nicht sah und dessen Ende von einer anderen Person gehalten wurde.
Es war schwer für sie, einen eigenen Gedanken zu fassen. Eigentlich schaffte sie es überhaupt nicht. Wichtig war das Ziel. Wichtig war der Weg dorthin, und der lag vor ihr, auch wenn er mit Menschen gespickt war.
Zahlreiche Gesichter erschienen vor ihr und verschwanden wieder. Es waren immer nur Momentaufnahmen, die sich schnell wieder zurückgezogen, um den nötigen Platz für neue Bilder zu schaffen. Sheila kannte die Menschen nicht, die sich anders verhielten als sie. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos, während auf den Gesichtern der übrigen Menschen die Vorfreude zu lesen war, die sie empfanden. Sie wollten in das Riesenrad steigen. Deshalb waren sie gekommen, und sie freuten sich darauf.
Ihr fielen zwei Polizisten auf. Schon einmal hatte sie die beiden Männer gesehen. Für sie hatten sie sich aus der Menge
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