1363 - Hexen, Witwen und Assunga
bleiben und erst dann gehen soll, wenn alle verschwunden sind?«
»Nein, das habe ich nicht.«
Margret schaute sie an, als könnte sie ihr nicht glauben. »Mein Geschäft ist geschlossen, das sage ich schon mal im Voraus. So leicht wird niemand kommen…«
»Wer sollte es denn?«
Margret kam näher. »Was weiß ich.« Sie blieb dicht vor Lilian stehen. »Ich habe keine Beweise, das ist es ja. Ich muss mich auf mein Gefühl verlassen, und das sagt mir, dass sich etwas ereignet hat, das mir nicht gefallen kann.«
»Aber du hast doch alles«, rief Lilian gequält. »Du hast mich. Du hast meinen Mann getötet und…«
»Halt dein Maul.« Sie strich das graue Haar zurück. »Da ist einiges nicht so gelaufen. Auch wenn es anders aussieht. Ich muss mir wirklich Gedanken machen.« Die Worte waren nicht an Lilian gerichtet. Margret hatte mehr zu sich selbst gesprochen, aber sie hatte ihre Gefangene nicht vergessen, denn mit einer ruckartigen Bewegung richtete sie ihren Blick wieder auf die Frau.
»Egal, was auch passiert ist, es wird mich nicht davon abhalten, mich mit dir zu beschäftigen und dabei in die Zukunft zu schauen.«
Lilian hatte wieder nichts verstanden.
Sie fragte nach. »Was soll das denn bedeuten?«
»Du bist eine Witwe.«
»Ja, leider!«, schrie sie.
»Auch deine Schwiegermutter war Witwe. Sie hat ebenfalls zu uns gehört. Zu unserem Club«, erklärte die Frau mit einem kalten Lächeln auf den Lippen.
Auch jetzt konnte Lilian den Worten der Frau nicht folgen. »Von welch einem Club sprichst du?«
»Von Assungas Hexenclub!«
***
Lilian hatte die Erklärung bekommen und die ganze Wahrheit gehört. Aber sie war in ihrem Denken keinen Schritt vorangekommen.
Unter dem Begriff Hexenclub konnte sie sich beim besten Willen nichts Konkretes vorstellen.
Natürlich dachte sie an einen Club, dessen Mitglieder sich aus Frauen zusammensetzten, aber Hexen…?
Gab es die überhaupt?
Immer dann, wenn sie etwas über Hexen gehört hatte, war es von ihr ins Reich der Märchen verbannt worden. Natürlich hatte sie hin und wieder den Begriff in Zeitschriften gelesen und dort waren die Begriffe modern und gleichzeitig auch archaisch aufgetaucht. Damit hatte sie ebenfalls nichts anfangen können. Das war alles so fremd und entfernt gewesen.
All diese Gedanken spiegelten sich auch in ihrer Mimik wider, und sie stolperte vor allen Dingen über den Namen Assunga.
Genau den sprach sie leise aus.
Margret hatte sie trotzdem verstanden. »Ja, du hast es erfasst. Es ist Assunga.«
»Und wer genau… ich meine, wer versteckt sich hinter dem Namen? Ich habe keine Ahnung.«
Margret Stone verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn du keine Ahnung hast, was ganz natürlich ist, werde ich es dir erklären. Man nennt Assunga auch die Schattenhexe.«
Wieder war ein Begriff gefallen, mit dem Lilian nichts anfangen konnte. Aber er flößte ihr auch eine gewisse Furcht ein. Das merkte sie, weil sie eine Gänsehaut bekam.
»Nie gehört?«
»Nein!«
»Auch nicht von deiner Schwiegermutter?«
Die Frage sorgte für ein noch größeres Erschauern. Das Blut schoss Lilian in den Kopf. Warum, zum Teufel, sprach diese Frau von Cordula Wayne?
Sie war doch tot und…
»Du glaubst mir nicht?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, flüsterte Lilian zurück.
»Dann will ich es dir sagen«, erklärte Margret in arrogantem Tonfall. »Deine Schwiegermutter hat zu uns gehört. Sie ist gestorben, und deshalb brauchten wir Ersatz. Und genau dieser Ersatz bist du, Lilian.«
Erneut brach für die junge Frau eine Welt zusammen. Diese neuen Wahrheiten rissen ihr fast den Boden unter den Füßen weg, und sie hatte das Gefühl, wegzutreten, zumindest geistig, und nur der Körper blieb noch zurück.
Ihr Geist war nicht tot. Er dachte mit, und so rollten die Fragen heran, die sie erschreckten.
Cordula eine Hexe? War ihre Schwiegermutter in diesen Stand hineingeraten? Davon war niemals die Rede gewesen. Auch jetzt konnte Lilian es noch nicht richtig glauben, und sie fragte sich sofort, ob Fred es gewusst hatte.
Nein, das konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Fred hatte sich mit seiner Mutter zwar immer gut verstanden, aber dass sie sich gegenseitig ihr Herz ausgeschüttet hatten, so weit war es zwischen ihnen eigentlich nicht gekommen.
Allmählich fing Lilian an, über die gesamte Tragweite nachzudenken. Wenn es tatsächlich stimmte, dann musste ihre Schwiegermutter noch ein zweites Leben geführt haben. Zum einen ein völlig
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