1364 - Killer-Engel
wartete.
Wer ihn zum ersten Mal sah, der spürte sofort, mit wem er es zu tun hatte. Hatte er bisher immer an das Positive in einem Engel geglaubt, so wurde er nun eines Besseren belehrt, denn diese Gestalt war es nicht. Sie war düster, sie verkörperte die Schrecken einer dämonischen Macht und hielt all das Grauen bereit, was die Hölle zu vergeben hatte. Er war nicht strahlend, er war der Erfinder der Lüge, neben dem Teufel natürlich, und er suchte immer wieder Möglichkeiten, Menschen davon zu überzeugen, dass sie die Lüge als Wahrheit annehmen sollten. Da gab er nie auf, und das würde er auch bei uns versuchen. Doch wir kannten ihn und konnten uns darauf einstellen.
Er war allein gekommen. Zumindest sahen wir keine Helfer, die ihn umflogen. Und er machte den Eindruck eines Besuchers, der darauf wartete, dass ihm die Tür geöffnet wurde.
Purdy Prentiss, die ihren Schützling Bruce noch immer festhielt, fragte mit leiser Stimme: »Was wollt ihr denn jetzt machen?«
»Wir lassen ihn rein!«
»Was?« Beinahe wäre sie aufgesprungen. »Weißt du, was du da gesagt hast, John?«
»Sehr gut sogar.«
»Und warum…«
»Keine Sorge. Er ist nicht gekommen, um uns zu töten. Ich denke eher daran, dass er uns einen Vorschlag machen will.«
»Was könnte der schon beinhalten?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber du hast gesagt, John, dass er der Engel der Lügen ist.«
»Stimmt.«
»Dann wird er auch euch etwas vorlügen.«
Ich lächelte. »Das ist durchaus möglich. Aber wenn man weiß, dass er lügt, ist es nicht weiter tragisch. So und nicht anders sollten wir das sehen.«
Purdy gab noch nicht auf. »Bist du auch der Meinung, Suko?«
»Ja.«
»Aber ihr habt eine Chance, ihn zu vernichten.« Purdy fasste es einfach nicht. »Geht raus und schafft ihn aus der Welt, das packt ihr doch. Meine Güte, das muss ich euch als Staatsanwältin sagen. Eigentlich müsste ich mich dafür schämen.«
»Aus deiner Sicht hast du genau Recht«, sagte ich. »Aber du bist nicht so involviert wie wir, Purdy. Er hat seine Gründe, dass er sich hier zeigt. Es gibt einen Plan.«
»Und auf den fallt ihr herein?«
»Bestimmt nicht.«
»Wer öffnet?«, fragte Suko.
»Du!«
»Danke, dass du mir diese Freude gönnst. Sonst hätte mir auch was gefehlt.«
Der Inspektor ging trotzdem auf Nummer sicher. Er ließ die drei Riemen aus der Dämonenpeitsche rutschen und steckte sie ausgefahren in seinen Gürtel zurück. Wir durften bei Belial alles, nur nicht ihm trauen, das wäre fatal gewesen.
Wir taten es auch nicht, auch wenn wir jetzt das taten, was er wollte. Er hätte die Wohnung auch auf einem anderen Weg betreten können. Dass wir ihm die Tür öffneten, gehörte wohl zum Spiel dazu. Er wollte sich auf eine bestimmte Art und Weise bestätigt fühlen.
Und wir brachen uns keinen Zacken aus der Krone, denn wie es im Endeffekt ausging, das wollten wir mal dahingestellt sein lassen.
Auch ich sorgte dafür, dass meine stärkste Waffe griffbereiter war als sonst. Das Kreuz verschwand in der Tasche meiner Lederjacke.
Ich konnte es auf verschiedene Arten und Weisen aktivieren. Bei Belial spielten dabei die Erzengel eine Rolle, denn durch sie war mein Kreuz geweiht worden, und sie zählten außerdem zu seinen erklärten Feinden.
Suko schob die Tür auf. So hatte der Wind zunächst freie Bahn, sich im Zimmer zu verteilen. Wir spürten ihn auf unseren Gesichtern, und gleichzeitig brachte er einen bestimmten Geruch mit, der für Belial typisch war. Man konnte ihn schlecht beschreiben. Es roch wie die Entladung bei einem Gewitter, denn da war die Elektrizität auch für die menschliche Nase wahrnehmbar.
Suko trat zur Seite, um Platz zu schaffen. Er ging noch nicht nach vorn. Zunächst schaute er sich genau um, als wollte er die Szene deutlicher wahrnehmen, denn es befand sich keine Scheibe mehr zwischen ihm und uns.
Das Lampenlicht gab mehr in unserer Nähe seinen Schein ab. Belial stand zwar nicht im Dunkeln, aber deutlich war seine Gestalt auch nicht zu erkennen.
»Der ist ja nackt, wirklich nackt«, flüsterte Purdy. »Geschlechtslos. Androgyn…«
»Das sind sie wohl alle.«
»Die Engel?«
Ich zuckte nur mit den Schultern.
Der Lügenengel hatte sich endlich dazu entschlossen, die Wohnung zu betreten. Er überstürzte nichts. Sein erster Schritt in das Zimmer kam mir wie ein Hineingleiten vor. Er schaute sich nicht mal um. Die Einrichtung schien ihm vertraut zu sein, und es gab genügend Menschen, auf die er sich
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