1364 - Killer-Engel
geschaut. Meiner Schätzung nach arbeitete er ungefähr zwei Minuten, bis er mit seinem Werk zufrieden war. Den Kugelschreiber behielt er in der Hand, so fest umklammert, als wollte er ihn zerbrechen.
»Belial«, flüsterte Suko nur.
»Ja«, murmelte ich.
Purdy fügte hinzu: »Es ist genau die Gestalt, die auch ich gesehen habe.« Sie bekam eine Gänsehaut. Dann holte sie ein gefaltetes Tuch aus der Tasche und wischte Bruce den Schweiß von der Stirn.
Der Junge wollte nichts mehr malen. Er saß auf der Couch und hatte seinen Rücken hart gegen die Lehne gedrückt, während sein Blick wieder ins Leere gerichtet war.
Purdy nahm ihm dem Kugelschreiber aus der Hand und legt ihn neben dem Zeichenblock auf den Tisch.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie uns. »Warum zeichnet er jetzt Belial?«
Uns musste sie die Frage nicht stellen. Eine Antwort würden wir nur von Bruce Everett bekommen, und das sagte ich ihr auch.
»Er ist fertig und überspannt, John. Er wird uns nichts sagen, glaube es mir.«
»Abwarten.«
Ich musste herausfinden, was sich der Junge dabei gedacht hatte, der noch unbeweglich saß, mich zwar anschaute, aber auch an mir vorbeisah. Er war in seine Gedanken versunken oder in die der Fremden, die durch seinen Kopf huschten.
»Bruce…?«
Obwohl ich ihn sehr leise angesprochen hatte, war ich von ihm gehört worden. Er drehte mir den Kopf zu, sodass ich die Angst in seinen Augen erkannte.
»Kannst du mich verstehen, Bruce?«
Er gab eine Antwort. Nur war es eine, die ich nicht erwartet hätte.
»Er ist da.«
»Wer?«
»Belial!«
Das war ein Fortschritt. Er sprach demnach die Wahrheit über die Person, die er gezeichnet hatte.
»Und wo ist er? Kannst du uns das sagen?«
»Ja, das weiß ich. Das weiß ich genau.« Er wies gegen seine Stirn.
»Da habe ich ihn. Genau da.«
»Und du hast in so gemalt, wie du in siehst.«
Wieder erhielt ich keine direkte Antwort auf meine Frage. »Er kommt, er will zu mir, zu uns hier. Er… er … will uns holen, glaube ich. Das weiß ich …«
Die Stimme kippte immer mehr über. Bruce konnte nicht mehr an sich halten. Er sprang plötzlich auf. Sein Kopf war hochrot geworden. Er riss den Mund auf und stieß einen wahnsinnigen Schrei aus. Dann drehte er sich zur Seite und wollte durch die Lücke zwischen Tisch und Couch huschen, um zu verschwinden.
Suko saß günstiger als ich. Er schnellte von seinem Platz hoch und stellte sich ihm in den Weg.
Bruce kam nicht vorbei. Er wollte es, aber er prallte gegen Suko, der ihn festhielt und auf ihn einredete, ohne den Jungen jedoch beruhigen zu können, weil seine Angst einfach zu groß war.
Schließlich brach Bruce in Sukos Griff zusammen und ließ sich wieder auf seinen Platz drücken. Dort blieb er so heftig zitternd sitzen, als hätte man ihn in eine Kältekammer geschoben.
Ich wusste sehr gut, dass einige unserer Gegner dazu in der Lage waren, Menschen auf geistiger Ebene zu quälen und sie in ihren Bann zu bekommen. Da war der verfluchte Hypnotiseur Saladin das beste Beispiel dafür.
»Es ist alles okay«, sprach Purdy auf ihn ein. »Wir alle sind bei dir, wir werden dich beschützen.«
Bruce hatte es gehört. Er saß da und schnappte noch immer nach Luft. Um seine Pupillen herum waren die kleinen Adern rot angelaufen, und wie von einer fremden Stimme brach es plötzlich aus ihm hervor:
»Belial ist da!«
Suko, der noch nicht wieder saß, fragte sofort: »Wo ist er?«
»Da! Da, auf dem Balkon!« Nach dieser Antwort sank der Junge in sich zusammen.
Wir schauten hin. Und wir sahen tatsächlich eine graue Gestalt, die sich hinter der Scheibe abmalte…
***
»Großer Himmel, er ist es tatsächlich«, flüsterte Purdy Prentiss mit rauer Stimme. Dann legte sie ihre Arme um den Jungen, als wollte sie ihn von einer Dummheit abhalten.
Uns hätte sie das nicht zu sagen brauchen, denn wir kannten den Engel der Lügen. Obwohl er hinter der Scheibe stand und nur ein schwaches Licht aus der Wohnung sich geisterhaft auf dem Balkon verteilte, wussten wir sofort, dass Bruce nicht gelogen hatte.
Belial stand da wie eine Gestalt oder ein Grabmal, das jemand vom Friedhof geholt hatte, um es reinigen zu lassen. Oft waren Gräber durch Engelfiguren geschmückt, als sollten diese der Seele des Verstorbenen den Weg in den Himmel weisen. Bei Belial wäre es wohl eher die Hölle gewesen, aber darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken, denn er allein war wichtig, und ich wusste auch, dass er auf eine Reaktion von uns
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