1364 - Killer-Engel
brauchst dich nur an deinen Schreibtisch zu setzen und zu tun, was ich dir sage.«
»Gut. Soll ich malen?«
»Setz dich hin!«
Wenig später hatte Bruce seinen Platz auf dem Stuhl eingenommen. Ein Kissen schützte ihn vor der harten Unterlage. Trotz des Computers auf der Platte war genügend Platz, um sich auch anderen Arbeiten widmen zu können.
Bruce schlug den Block auf und schaute auf die leere Seite. Sein Gehirn fühlte sich ebenso leer an. Er hätte nicht gewusst, was er zeichnen sollte, außerdem war er jemand, dessen Begabung dafür sich in Grenzen hielt.
Noch hatte Belial nichts gesagt, erst tippte er Bruce auf die Schulter. Der Junge glaubte, von einem Stahlstift berührt worden zu sein, so hart war die Fingerspitze.
Er drehte seinen Kopf zur rechten Seite hin.
Dort hatte sich Belial gebückt. Er stand so nah bei dem Jungen, dass dieser den alten Gestank noch intensiver wahrnahm.
Dann schüttelte er den Kopf, um etwas tun zu können, aber der Blick des Engels ließ ihn nicht los.
Diesmal war es noch schlimmer. Diese kalten Fischaugen ließen ihn nicht aus ihrem Bann. Da war etwas, das tief in seine Psyche eindrang und das Fremde dort hinterließ, das Eigene aber zerstörte.
Der Junge war nicht mehr er selbst. Dieser Engel hatte die perfekte Macht über ihn. Wenn er gesagt hätte, hol dir ein Messer und stoße es dir in die Kehle, dann hätte er es getan.
Zum Glück passierte das nicht, denn Belial hatte etwas anderes mit Bruce vor.
»Nimm dir einen Stift.«
Bruce griff nach einem Kugelschreiber.
Belial gab sich damit zufrieden. »Das ist gut«, sagte er. Dabei deutete er auf den Zeichenblock. »Und jetzt wirst du etwas malen, mein Lieber.«
»Ja, aber was?«
»Mal deinen Vater.«
Bruce Everett zögerte.
»Mal deinen Vater.«
»Ja, gut.«
Bruce hob den Kugelschreiber an, dessen Mine eine dunkelgraue Farbe besaß.
Dann begann er zu malen…
***
Für Purdy Prentiss war der Abend zwar nicht gelaufen, aber sie hatte ihn sich anders vorgestellt, innerlich ruhiger, entspannter, doch nun war alles anders gekommen, denn die Bewegung auf dem Balkon wollte ihr nicht aus dem Sinn. War es vielleicht der Schatten eines Einbrechers gewesen, der seine Beutezug abgebrochen hatte?
Sie konnte darauf keine Antwort geben, aber möglich war alles.
Egal, wo man lebte, hundertprozentig sicher konnte man sich nirgendwo fühlen. Das allerdings galt nicht nur für London, sondern für viele andere Städte in der Welt auch.
Sie hörte Musik. Klassik verpackt in einem modernen Arrangement. Die perfekte Hintergrundmusik für einen ruhigen Abend, der leider nicht so verlaufen war, wie sie es sich gewünscht hatte. Es fehlte ihr einfach die Konzentration. Zwischendurch hatte sie sich im Fernsehen die Nachrichten angeschaut. Sie hatten auch nicht eben dazu beigetragen, sie entspannter zu machen, und um ein Buch zu lesen, dazu hatte sie auch nicht die Muße.
Selbst der Rotwein schmeckte nicht mehr so gut. Schließlich war sie in die Küche gegangen und hatte die halbe Pizza aufgewärmt.
Purdy ertappte sich dabei, dass sie öfter auf die Fenster schaute als gewöhnlich, aber dort war kein Schatten merh zu sehen.
Trotzdem dachte sie ständig über ihn nach. Sogar während des Essens. Sie suchte auch nach einem Motiv und ging dabei davon aus, dass dieser Besucher es allein auf sie abgesehen hatte. Möglicherweise lag der Grund tief in ihrer Vergangenheit verborgen, in ihrem ersten Leben im alten Atlantis. Dass diese Spuren nicht vollständig gelöscht worden waren, hatte sie leider erleben müssen, doch sie sah keinen Grund dafür, dass es wieder zurückkehrte.
Erst hatte sie die Pizza mit in das Wohnzimmer nehmen wollen, dann entschied sie sich dafür, die Mahlzeit in der Küche einzunehmen. Dazu trank sie diesmal Mineralwasser, denn sie wollte nicht zu viel Rotwein zu sich nehmen.
In einer Viertelstunde war sie fertig mit dem Essen, stellte den Teller in die Spüle und ging wieder zurück in den Wohnraum, wo sie von Smetanas Moldau empfangen wurde.
Purdy Prentiss trug noch immer ihren Bademantel und darunter sehr wenig. Obwohl sie sich in der eigenen Wohnung befand, kam ihr diese Kleidung zu dürftig vor. Sie verspürte den Wunsch sie zu wechseln und sich normal anzuziehen.
Das tat sie im Schlafzimmer. Das Doppelbett stand noch immer dort, in dem sie mit Eric La Salle, ihrem Partner, geschlafen hatte.
Die eine Hälfte war lange nicht mehr benutzt worden, und das würde wohl noch länger so bleiben. Purdy
Weitere Kostenlose Bücher