1366 - Die Freiheit des Bewußtseins
atmen. Auch er glaubte, ein Geräusch vernommen zu haben, irgendwo am anderen Ende der Halle. In der absoluten Stille des Labyrinths konnte jeder Laut, der nicht von ihnen selbst stammte, Gefahr bedeuten, vielleicht sogar tödliche Gefahr.
Da war es wieder! Es hörte sich an wie vorsichtige Schritte, die sich nun entfernten. Dann verstummten sie. „Es ist also außer uns noch jemand hier unten", sagte Testare so leise wie möglich. „Wir müssen ihn auftreiben, wer immer es auch sein mag. Ich weiß nicht, ob unsere Gastkörper Hunger und Durst empfinden, aber ewig werden sie es hier auch nicht aushalten."
„Ich schon erst recht nicht", gab Ellert ruhig zurück. „Gehen wir, aber vorsichtig."
Vorbei an den im Boden verankerten Blöcken und Kontrollpulten durchquerten sie die Halle, immer bemüht, in Deckung zu bleiben, damit ein eventueller Beobachter auf der gegenüberliegenden Seite sie nicht sah. Vielleicht wartete er auf sie und hatte sie längst bemerkt.
Ihre Bewegungen wurden langsamer und vorsichtiger. Auf ein Zeichen hin blieben sie öfter stehen und lauschten mit angehaltenem Atem. Nichts! Absolute Stille.
Dann lagen vor ihnen drei Ausgänge, dahinter schimmerte das trübe Licht erneuter Korridore, die ins Unbekannte des Labyrinths führten.
Es gab keinen Hinweis darauf, welchen der drei der Fremde genommen hatte.
Durch Zeichen einigten sich Testare und Ellert auf den mittleren Tunnel. Rasch legten sie die wenigen Schritte ohne Deckung zurück und erreichten den Gang. Erneut blieben sie stehen und lauschten. Außer ihrem Atmen war nichts zu hören.
Oder doch?
Da waren die tappenden Schritte wieder, weit entfernt, aber in dem gewählten Gang. Der Tunnel leitete den Schall vorzüglich. Die Richtung, aus der er kam, war klar, nur die Entfernung ließ sich nicht abschätzen.
Ein Blick des Einverständnisses genügte den beiden Freunden. Sie schlichen weiter und gaben sich alle Mühe, kein Geräusch dabei zu verursachen, was der großen Echsenklauen wegen nicht gerade leicht war.
Sie mußten etwas schneller als der Unbekannte sein, denn dessen Schritte wurden deutlicher vernehmbar und waren nicht mehr zu überhören. Ellert fiel dabei etwas auf, was wiederum eine Erinnerung in ihm wachrief. Die Schritte wurden von einem Zweibeiner verursacht, daran bestand kaum ein Zweifel. Und trotzdem war deutlich ein weiteres Geräusch zu hören, nicht völlig im gleichen Rhythmus wie die Schritte selbst, sie jedoch ständig begleitend.
So als besäße der Verfolgte drei Beine, von denen sich das eine deutlich von den beiden anderen unterschied.
Und dann kam ihm die Erleuchtung: „Es ist Barkon", sagte er in normaler Lautstärke, wenn auch kehlig und etwas krächzend. „Der Stock!
Der Stock ist das dritte Bein!"
„Hoffentlich behältst du recht. Aber wie kann der alte Mann Monate hier unten verbringen, vielleicht ohne Nahrung oder Wasser?"
„Das mußt du ihn schon selbst fragen - sehr bald, nehme ich an."
Der Lichtschimmer vor ihnen wurde merklich heller, und beinahe hätte Ellert aufgeschrien, als er gegen das Licht die Umrisse des Barkoniden erkannte. Aber er hielt sich zurück, denn aus dem Freudenschrei wäre sicherlich das grausige Brüllen eines vorsintflutlichen Sauriers geworden. Barkon mochte gegen den natürlichen Tod gefeit sein, vielleicht aber nicht gegen einen Herzschlag.
Barkons Umrisse - selbst sein Stock, auf den er sich stützte - waren deutlich zu erkennen, aber dann erlosch das Licht, gegen den sie sich abhoben, als sich eine Wand zwischen das Licht und die beiden Verfolger schob. Das geschah so überraschend und schnell, daß Ellert keine Zeit blieb, Barkon etwas zuzurufen.
Erneut mußten sie sich an das frühere Dämmerlicht gewöhnen.
Der Gang endete vor einer Wand aus unbekanntem Material.
Verzweifelt hieb Ellert mit den Echsenklauen dagegen, aber es blieb ungewiß, ob die Laute durch das sich sehr massiv anfühlende Material zur anderen Seite durchdrangen. „Wir hätten schneller sein sollen", beklagte sich Testare. „Wir haben Barkon zu spät erkannt", hielt Ellert ihm entgegen und überlegte, wie sie sich bemerkbar machen könnten, falls Barkon auf der anderen Seite der Wand haltgemacht hatte. „Wir benötigen einen schweren Gegenstand, mit dem wir gegen die Wand klopfen können. Irgend etwas aus der großen Halle, da gab es genug Metall."
„Ich gehe etwas holen", erbot sich Testare. „Halte du hier Wache. Vielleicht kehrt Barkon zurück, oder die Wand öffnet sich
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