1368 - Iruna
„Du erinnerst dich nicht daran, weil sie dich nicht fluchtartig verließ."
„Nicht fluchtartig, das ist es!" warf Satri Jawlahar erregt ein. „Sie tat, als hätte sie es eilig, Tovari zu verlassen und dann ist sie in aller Seelenruhe in ihren Gallertkörper zurückgekehrt."
„Zwischen >fluchtartig< und >eilig< besteht ein gewichtiger Unterschied", wies der Arkonide sie zurecht. „Du hast keine Ahnung von den Feinheiten der Pedotransferierung, Satri."
„Und schon gar nicht von Irunas besonderer Art der Pedotransferierung!" trumpfte der Kamashite auf. „Ihr Körper bleibt nämlich nicht als blasenförmige Gallertmasse zurück, wenn sie jemanden übernimmt, sondern er verändert sich überhaupt nicht. Außerdem kann sie Pedotransferierungen nicht nur über Kilometer hinweg durchführen wie Cappins, sondern über viel größere Entfernungen."
Das brachte die Kommandantin der SCHARNHORST zum Schweigen und regte Atlan zu neuem Nachdenken an, denn Tovari hatte zwei Fakten genannt, von denen er bisher nichts geahnt hatte, obwohl die Tatsache, daß Irunas Aktionsradius als Pedotransfererin den von Cappins weit übertraf, doch auf der Hand lag.
Denn immerhin war der Kamashite anderthalb Lichtmonate von Sringal IV entfernt gewesen, als sie ihn übernommen hatte.
Für einen Moment überfiel den Arkoniden die Furcht, Iruna könnte sich infolge ihrer besonderen Fähigkeiten, die er vielleicht noch gar nicht alle kannte, als Wesen erweisen, deren Persönlichkeit die seine überstrahlen würde. Doch dann verdrängte er dieses Gefühl voller Scham.
Er setzte sich gerade auf und blickte auf die große Videofläche über seinem Kontrollpunkt. Verzerrte Abbilder der Sterne schimmerten durch den reflektierenden Nebel.
Im nächsten Moment verschwanden sie und machten einem eintönigen Grau Platz.
Die KARMINA war in den Überlichtflug gegangen. „Ich komme, Iruna!" flüsterte Atlan.
5.
Es war ein eigenartiges Gefühl, einen Sternriesen anzufliegen, der weder optisch noch ortungstechnisch erfaßbar war, sondern dessen Position sich nur anhand der inneren Strukturveränderungen des Raum-Zeit-Kontinuums durch die Massen von Sringal Beta und Sringal Alpha bestimmen ließ.
Doch Atlan wußte, daß er sich auf die entsprechenden Messungen und die permanente Auswertung durch den Bordsyntron verlassen konnte. Zudem kontrollierte er den Kurs der KARMINA durch die Gravitationsfelder des Sringal-Systems selber anhand der Instrumentenanzeigen, seit das Schiff vor zirka einer Minute in den Normalraum zurückgefallen war und sich nur noch unterlichtschnell bewegte.
Als es in die Korona des blauen Riesen eindrang, geriet es in eine Zone, in der die Störfelder der Hauri nicht mehr wirkten.
Unvermittelt füllte sich die gesamte Videofläche vor dem Arkoniden mit grellem blauen Leuchten, das jedes organische Auge innerhalb eines Sekundenbruchteils zerstört hätte, wären die Strahlung von Sringal Beta nicht durch überlichtschnell wirkende phototrope Schaltungen in der Videofläche abgedunkelt worden.
Jeschwa Tomasov, Anram Kosice und Terkel Straaten ächzten erschrocken.
Atlan blieb ruhig, aber er verstand die drei Freiwilligen. Als Raumlandesoldaten waren sie bisher noch nie von einer Raumschiffszentrale aus mit dem Abbild einer Sonne konfrontiert worden, in dessen Korona ihr Schiff eingeflogen war. Deshalb mußte der Anblick der den Videoschirm ausfüllenden Sternmaterie bei ihnen den Eindruck hervorrufen, die KARMINA befände sich im Absturz auf die Sonnenoberfläche. „Bereit zur Übergabe des Schiffes in Manuellsteuerung", meldete der Bordsyntron. „Ich übernehme", erwiderte Atlan und aktivierte die Steuerungsfunktionen seines Kontrollpults. „Modellbilder und Daten je nach Notwendigkeit in die Videofläche einblenden; die Realabbildung kannst du verschwinden lassen, sie irritiert einige Personen unnötig."
„Verstanden", gab der Syntron zurück. „Ausführung folgt."
Der Arkonide konzentrierte sich ganz auf die Steuerung der KARMINA, während er die Daten und Modellabbildungen musterte, die der Bordsyntron anhand der Ortungsergebnisse auf die Videofläche projizierte.
Im Grunde genommen hätte Atlan die Steuerung des Schiffes auch weiterhin dem Syntron überlassen können, aber er brachte es nicht über sich, während der gefährlichsten Flugphase eine passive Rolle zu spielen. Es gehörte zu seiner Natur, bei Risikoeinsätzen zu dominieren - und das bedeutete für ihn, Entscheidungen zu treffen und
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