1370 - Amoklauf der Wissenden
schaden, wenn wir sie über unsere Schwierigkeiten in Kenntnis setzen. Vielleicht hat sie aus irgendwelchen Gründen noch gar nicht bemerkt, was im Reich der Kartanin geschieht. Wir wollen sie rufen. Wir müssen es wenigstens versuchen."
Es war Blasphemie, auch nur anzudeuten, daß die Stimme eine wirklich wichtige Entwicklung nicht mitbekommen hätte, denn die Stimme hatte sich stets als außerordentlich gut informiert gezeigt. Aber das schien den anderen in diesem Augenblick gar nicht aufzufallen, was sicher darauf hindeutete, daß auch sie sich sehr unsicher fühlten. Sie zögerten zwar noch, aber Shu-Han-H'ay hatte den Eindruck, daß sie einander etwas vorzuspielen versuchten. Sie alle bildeten sich gerne ein, daß sie das Volk der Kartanin führten und daß sie selbst und aus eigener Kraft rnit allen Gefahren fertig wurden. Jede von ihnen hatte schon hier und da einmal Trotz gegenüber der scheinbar allwissenden Stimme von Ardustaar gespürt. Es fiel ihnen nicht leicht, zuzugeben, daß sie diesmal auf Hilfe angewiesen waren.
Shu-Han-H'ay erkannte plötzlich resignierend, daß es niemals anders gewesen war. Egal, was sie alle sich eingebildet hatten - sie brauchten die Stimme.
Endlich waren die anderen sich einig, und sie holten die Tränen N'jalas aus den kleinen Behältern und machten sich bereit, die Stimme zu ruf en. Sie taten es ein wenig herablassend, als ginge es ihnen nur darum, Shu-Han-H'ay einen Gefallen zu tun.
Dummköpfe! dachte Shu-Han-H'ay in plötzlichem Zorn.
Aber dann riß sie sich zusammen, drängte ihre Gefühle zurück und nahm ebenfalls einen Tropfen Paratau.
Die anderen sahen sie erwartungsvoll an. Sie schloß die Finger über der Träne N'jalas und kniff die Augen zu. „Wir konzentrieren uns auf das Unglück, das unser Volk getroffen hat", sagte sie laut. „Wir rufen die Stimme von Ardustaar und bitten um Rat!"
Sie hörte die Stimmen der anderen, die die Worte nachsprachen, und sie machte die Augen wieder auf.
Die anderen saßen still, mit geschlossenen Augen, unhörbar vor sich hin murmelnd in dem Bemühen, ihre Gedanken so klar wie nur irgend möglich zu formulieren.
Shu-Han-H'ay verzichtete darauf, es den anderen gleichzutun, denn sie wußte, daß es ohnehin nichts nützen würde. Die Träne in ihrer Hand hatte sich aufgelöst, aber sie spürte nichts. Sie bezweifelte, daß sie noch imstande war, die Stimme von Ardustaar zu hören, obwohl sie wußte, mit welcher Gewalt einem diese Stimme durch den Schädel zu fahren vermochte.
Lange Zeit saß sie da und beobachtete die anderen in der Hoffnung, daß eine von ihnen reagieren würde, aber es geschah nichts.
Die Stimme von Ardustaar meldete sich nicht.
4.
Dao-Lin-H'ay kannte sich in der NARGA SANT noch immer nicht besonders gut aus. Sie hatte wenig Gelegenheit erhalten, sich in dem uralten Schiff umzusehen, und die NARGA SANT war so riesengroß, daß man vermutlich Jahre gebraucht hätte, um sie vollständig zu erforschen. Auch das Scotarning war in dieser Hinsicht nicht sehr hilfreich, denn es ließ sich selten dazu herab, Auskunft über das zu geben, was außerhalb seiner eigenen Grenzen lag.
Oder gelegen hatte, denn die NARGA SANT war ein weitgehend totes Schiff. „Wir könnten im Scotaming bleiben", hatte Oogh at Tarkan gesagt, nachdem sie feststellen mußten, daß das Schiff den anderen Wissenden gehorchte, anstatt nach Kartan zu fliegen. „Es ist immer noch groß genug, um uns eine ganze Reihe von guten Verstecken zu bieten. Aber das Scotaming steht unter der Kontrolle der Voica, und darum ist es besser, wenn wir einen anderen Sektor aufsuchen."
Dao-Lin-H'ay war damit einverstanden. Mehr noch: Sie brannte geradezu darauf, aus der Nähe der Voica zu kommen. Sie hätte sich zwar eher die Zunge abgebissen, als es zuzugeben, aber Tatsache war, daß sie sich vor den Wissenden fürchtete.
Die Voica hatten sich verändert. Es lag nicht nur daran, daß ihnen offenbar die Fähigkeit abhanden gekommen war, mit dem Paratau umzugehen - diese Tatsache hätte in Dao-Lin normalerweise eher Mitgefühl ausgelöst. Aber die Veränderung reichte viel tiefer.
Schon allein der unsinnige Befehl an die „draußen" lebenden Kartanin, gegen alles Fremde zu kämpfen, hatte in Dao-Lin-H'ay Abscheu erregt.
Die Voica kannten Oogh at Tarkans Bericht über die Herkunft und die Geschichte der Kartanin in diesem Universum, und sie kannten ihn länger als Dao-Lin. Verschiedene Dinge waren ihnen sogar schon vor Oogh at Tarkans Erwachen
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