1375 - Friedhof der Nakken

sich wütend zu Gil-Gor um. „Was willst du mit diesem Taschenspielertrick erreichen?" herrschte er ihn an. „Hast du mich nur herbestellt, um mir ein solches Kunststück vorzuführen?"
    Gil-Gor wirkte völlig verstört.
    Er sagte: „Kein Trick. Es spricht die Zentrale Wissensautorität."
     
    *
     
    Die kartanischen Techniker bekamen gar nicht mit, was in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft vor sich ging. Sie registrierten das Ereignis nur anhand der Datenausgabe ihrer Geräte, ohne zu merken, daß das Objekt ihres Interesses in der Person von Namenlos mit ihnen im selben Raum stand.
    Sie sahen den Boten der Zentralen Wissensautorität in den holographischen Würfeln, und sie orteten die Gigantprojektion im Resonanzkörper, der tausend Meter hohen Hohlpyramide innerhalb des Hauptquartiers. Alles andere blieb ihnen verborgen.
    Rhodan konnte es nicht glauben, daß Namenlos das Medium der Zentralen Wissensautorität sein sollte.
    Warum ausgerechnet der Legendenforscher? Was hatte er mit der Projektorganisation zu schaffen? Sein Volk war in der Kansahariyya nicht einmal vertreten, er selbst konnte in keinerlei Beziehung zur Zentralen Wissensautorität stehen. Oder etwa doch?
    Rhodan blickte zwischen Namenlos und Gil-Gor hin und her. Trotz der glaubhaft zur Schau gestellten Betroffenheit des Kartanin blieb Rhodan skeptisch.
    Namenlos selbst wirkte wie in Trance. Seine Kopffühler standen steif in die Höhe, die Facettenaugen strahlten in stumpfem Grün, der Körper wirkte kraftlos. Er bewegte sich nicht, nur sein vorspringender Mund machte langsame mahlende Bewegungen, ohne daß ein Laut hervorkam.
    Rhodan machte eine Bewegung in seine Richtung, aber Gil-Gor hielt ihn zurück. „Erschrecke ihn nicht!" befahl er. „Du könntest den Kontakt stören."
    Rhodan wollte zuerst aufbrausen, aber dann fügte Gil-Gor eindringlich hinzu: „Wenn du Namenlos gewaltsam aus der Trance reißt, könnte ihn der Schock töten. Er steht im Fokus starker psionischer Kräfte. Du darfst ihn nicht einmal ansprechen. Er wird von sich aus sagen, was er zu sagen hat."
    Rhodan wich zurück. Seine Zweifel schwanden allmählich. Warum hätte man auch ein solches Schauspiel inszenieren sollen? Doch nicht nur als Täuschungsmanöver für ihn. „Namenlos wird von sich aus sprechen", sagte Gil-Gor, als er Rhodans Ungeduld merkte. „Laß ihm Zeit."
    Endlich rührte sich Namenlos. Seinen Körper durchfuhr ein Zucken, und dann machte er eine Vierteldrehung um seine Achse. Dabei bewegte sich sein Mund. Zuerst gab er nur ein undeutliches Gemurmel von sich, aber allmählich wurde daraus ein verständliches Kartanisch. „ ... das Opfer am Altar der Ewigkeit", sagte Namenlos, und seine Facettenaugen bekamen einen gelblichen Schimmer und begannen leicht zu fluoreszieren. „Zeremonienmeister und Opfer sind identisch, aber die Opfer sehen sich nicht als solche. Sie gehen willig von Folterkammer zu Folterkammer, nehmen den ihnen auferlegten Schmerz mit Wonne entgegen und steigern sich in ihrem vermeintlichen Glück bis zur Ekstase ..."
    Namenlos verstummte und machte wieder eine Vierteldrehung, so daß er nun in Richtung der Transparentwand stand und Rhodan und Gil-Gor den Rücken zukehrte.
    Rhodan blickte fragend zu Gil-Gor, aber der Kartanin schien die orakelhafte Botschaft ebenfalls nicht deuten zu können.
    Namenlos fuhr fort: „Das Schlachtopfer hat einen Namen. Und der Name ist ein Volk. Es geht jubelnd in den Tod, läßt sich bereitwillig vom Nichts aufnehmen, denn es heißt, daß dies nur ein kleiner Tod sei. Der kurze Schlaf, das Hinüberdämmern zur nächsten Wiedergeburt. Rettet sie!"
    Die letzten beiden Worte schrie Namenlos förmlich. Jetzt wurden selbst die in ihre Tätigkeit vertieften Techniker aufmerksam, denn die psionisch indizierten Holographien flüsterten diesen Appell lediglich. „Rettet sie!" flüsterte es aus den Holo-Kuben. „Rettet sie!" flehte die Gigantprojektion im pyramidenförmigen Resonanzkörper. „Rettet das Volk!" schrie Namenlos unter konvulsivischen Zuckungen. „Sagt den Nakken, was ihre wahre Bestimmung ist. Wehrt den falschen Propheten, die aus einem harmlosen Splitter eine Keule der Vernichtung formen wollen."
    Rhodan glaubte, daß Namenlos die Kräfte verließen, und wollte ihm zu Hilfe eilen. Aber wieder stellte sich Gil-Gor dazwischen. „Die Zentrale Wissensautorität muß noch weitere Informationen für uns haben", sagte der Kartanin überzeugt. „Das kann nicht alles sein."
    Aber der Kartanin wartete