1375 - Wächterin der Toten
wir vielleicht zu einer Lösung.«
»Du willst das also?«
»Sicher. Es muss etwas geben. Ich kann nicht so leben mit dieser Ungewissheit.«
»Das verstehe ich.« Johnny räusperte sich. »Und du bist sicher, dass du dich in dieser Gestalt gesehen hast?«
»Ja. Aber ich sah nicht mich, sondern meinen Schutzengel. Er wollte den Kontakt mit mir.«
»Warum?«
»Das weiß ich nicht. Wenn man überlegt, kommt man vielleicht zu der Überzeugung, dass er mir nur erschienen ist, um mich vor etwas Schlimmem zu warnen.«
»Das kann sein.«
»Und was denkst du weiter, Johnny? Ich meine, wenn ich das alles glaube, was du mir gesagt hast, dann hast du eine gewisse Erfahrung mit diesen Dingen.«
»Viel weniger als mein Vater und dessen Freund.«
»Aber mehr als ich.«
»Das ist wohl richtig.«
»Und deshalb sollten wir gemeinsam überlegen, was wir tun. Oder willst du nicht mit dabei sein?«
»Von wegen, das interessiert mich.«
Clara freute sich so sehr über die Antwort, dass sie Johnny um den Hals fiel und ihn fest an sich drückte. Er bekam zwei Küsse auf die Wangen und einen schnellen auf den Mund und vernahm auch bei den Worten die Erleichterung aus ihrer Stimme, als sie sagte:
»Allein hätte ich schon Angst gehabt.«
»Was meinst du damit?«
Sie sah ihn an und strich dabei mit einer Hand über seine Brust.
»Ich würde nicht mehr allein zum Grab meiner Großmutter fahren.«
»Aha. Mit mir schon – oder?«
»Klar.«
»Da werden wir wohl auch hin müssen. Wenn du nicht willst, kannst du im Auto warten.«
»Das entscheide ich später. Wann willst du denn los?«
Johnny schaute zum Himmel. »Wir haben noch einen langen Tag vor uns, an dem es hell bleibt. Ich denke, wir können zuvor noch einen anderen Ort besichtigen.«
»Welchen denn?«
Etwas verlegen schlug Johnny vor: »Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir die Wohnung deiner toten Großmutter betreten? Sie hat doch in eurem Haus gewohnt – oder?«
Clara Lintock schauderte zusammen, was Johnny nicht überraschte. »Ist es denn wichtig?«
»Weiß ich nicht genau. Aber es könnte wichtig sein, denke ich. Man muss alle Möglichkeiten ausschöpfen.«
»Du redest wie ein Polizist.«
Johnny grinste breit. »Der beste Freund meines Vaters und zugleich mein Partner, der ist Polizist. Da habe ich schon genug mitbekommen.«
»Das kann ich mir denken. Jagt er denn auch dieses… äh … ich meine Geister und so?«
»Mehr und so«, erwiderte Johnny, »obwohl man ihm den Spitznamen Geisterjäger gegeben hat.«
Sie zuckte zusammen. »He, wenn das so ist, dann könntest du ihn doch anrufen und ihm Bescheid geben.«
»Nein, zunächst nicht. Ich will nicht die Pferde scheu machen. Erst möchte ich mich mal umschauen.«
»Ja, das versteh ich.«
Johnny stand auf. »Dann komm. Sollen wir zu Fuß gehen oder mit deinem Wagen fahren?«
»Wir nehmen den Mini. Dann brauchen wir nicht mehr zurück, wenn wir zum Friedhof wollen.«
Johnny lachte. »Gut gedacht…«
***
Das Haus der Lintocks gehört zu den größten in Tullich. Es gab nicht weit von der Hauptstraße entfernt einen flachen Hang, der hinter dem Haus später recht steil wurde und dem Auge des Betrachters eine bunte Sommerwiese präsentierte.
Clara stellte den Mini dicht vor der Haustür ab. Sie suchte nach dem passenden Schlüssel und schob ihn ins Schloss der Tür.
An den dicken Steinmauern rankten Efeu und andere Gewächse empor. Dieser grüne Bewuchs zog sich hoch bis zur Dachrinne, wuchs dort aber nicht über sie hinweg, weil die Enden immer abgeschnitten wurden. Vögel hatten hier an der Hauswand ein wahres Paradies gefunden, um ihre Nester zu bauen.
Es war auch das Zwitschern der Jungen zu hören, das aus den versteckten Nestern klang.
Johnny hatte gesehen, dass das Haus von einem Garten umgeben war. Man konnte ihn als Naturgarten bezeichnen, denn dort wuchs alles wild durcheinander. Für eine Pflege hatten die Bewohner keine Zeit.
Clara und Johnny betraten ein recht dunkles Haus mit einem engen Flur. Die dicken Mauern hatten die Wärme abgehalten, deshalb war es auch recht kühl.
An der Treppe blieb Clara stehen. Sie schaute die Stufen hoch, was Johnny zu der Frage veranlasste: »Hat deine Großmutter oben gewohnt?«
»Nein, hier unten. Es gibt einen kleinen Anbau. Ich überlegte nur, wo ich den Schlüssel zu ihrer Wohnung finden kann.«
»Und dort ist alles geblieben, wie es war?«
»Ich glaube schon. Meine Eltern sind immer unterwegs. Ich habe mich seit dem Tod nicht mehr in die
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