1375 - Wächterin der Toten
waren sie zu zweit, und Clara hörte sogar das dumpfe Auftreten ihrer Füße, wenn sie sich bewegten. Sie waren nicht genau zu erkennen, aber sie musste feststellen, dass sie es nicht mit irgendwelchen Geistern oder anderen feinstofflichen Wesen zu tun hatte.
Aber wer waren sie dann?
Die Gedanken, die ihren Kopf durchflossen, brachen immer wieder ab, weil es keine Erklärung gab. Clara musste sich darauf konzentrieren, was die beiden taten.
Und was sie vorhatten, war schlimm genug.
Sie hatten sich ein Ziel ausgesucht, und das war ausgerechnet der Mini, neben dem sie stand. Es würden noch einige Sekunden verstreichen, bis sie das Fahrzeug erreichten, und diese Spanne musste sie ausnutzen.
Fieberhafte Überlegungen jagten durch ihren Kopf. Es gab nur zwei Alternativen.
Entweder die Flucht zu Fuß oder mit dem Wagen. Wenn sie zu Fuß losrannte, war es für die beiden Gestalten leicht, sie in die Zange zu nehmen.
Also mit dem Auto.
Sie stieg ein, rammte die Tür zu und wünschte sich plötzlich weit, weit weg.
Clara konnte den Mini nicht starten. Der Schlüssel steckte nicht im Zündschloss.
Jetzt erinnerte sich die junge Frau daran, dass Johnny ihn vor dem Aussteigen abgezogen und mitgenommen hatte. Bestimmt hatte er das nicht absichtlich getan. Nur routinemäßig. Dass es so enden konnte, das hätte sich keiner von ihnen vorstellen können.
Es blieb die Flucht zu Fuß!
Clara wollte die Tür schon öffnen, als sie sah, dass es zu spät war.
Die beiden Gestalten hatten die Zeit genutzt und bereits die vordere Stoßstange erreicht.
Das Fenster stand noch offen!
Der Mini war älter. Elektronik gab es nur wenig. Er besaß auch keine Klima-Anlage. Er hatte nur zwei Türen, und das gereichte ihr zum Vorteil.
Zuerst drückte sie den Stift auf ihrer Seite nach unten, dann auf der gegenüberliegenden.
Anschließend griff sie zur Kurbel und dreht die Fensterscheibe hoch.
Clara erkannte, dass sie es nicht mehr ganz schaffte. Eine der Gestalten war der Autotür und damit auch dem Fenster bereits zu nahe gekommen.
Er wollte sie, und er steckte seine Hand durch die Öffnung.
Die Scheibe hakte sich fest, und sie klemmte gleichzeitig die Hand ein, die weder vor noch zurück konnte.
Clara sah, dass die Hand nicht unbedingt als normal anzusehen war. Man konnte sie als eine alte Klaue bezeichnen. Eine Haut, die rissig war und aussah, als wäre sie mit Asche bestreut worden.
Abgerissene oder halb abgerissene Nägel, unter denen Dreck klebte.
Risse im Fleisch, das seinen Namen gar nicht verdiente. Diese Hand, die am Gelenk feststeckte, sah aus, als hätte sie schon sehr lange in der Erde gelegen, wie auch der übrige Körper.
Clara war in eine Lage hineingeraten, in der sie nicht mehr dachte. Jetzt reagierte sie nur noch ihrem Gefühl entsprechend.
Aber sie brachte es fertig, den Kopf so weit anzuheben, dass sie an der Gestalt hochschauen konnte.
Das Entsetzen traf sie wie ein Schlag.
Er war eine Gestalt wie aus dem Horrorfilm. Verwest, verschleimt, stinkend, wobei sich die Hand in der Scheibenklemme zuckend wie eine Hühnerklaue bewegte.
Selbst das verursachte ihr Ekel, und sie fürchtete sich davor, von der Klaue berührt zu werden.
Plötzlich fing der Mini an zu schaukeln. Die zweite Gestalt hatte sich gebückt und seine Hände vorn unter die Stoßstange gelegt. Das Monstrum wollte den Wagen anheben. Noch hatte es sein Ziel nicht erreicht, aber es würde es schaffen.
Mit dem Knie trat das andere Monster gegen die Fahrertür. Jeder Schlag jagte bei der jungen Frau neue Adrenalinstöße durch den Körper, und sie wusste auch nicht mehr, wie sie sich wehren sollte.
Dass sie die Scheibe ein wenig nach unten kurbelte, fiel ihr auf, aber die Gestalt aus dem Grab nutzt die Chance. Sie zog ihre Hand zurück.
Während sie das tat, öffnete Clara ihren Mund so weit sie konnte.
Und einen Moment später schrie sie auch so laut sie konnte. Sie war wie von Sinnen und hielt beide Hände gegen die Wangen gepresst.
Zudem hatte sie die Augen geschlossen, weil sie ihre Feinde einfach nicht sehen wollte.
Sie schrie so lange, bis sie Luft holen musste und ihr der Hals im Innern wehtat.
Aber sie saß noch immer auf dem gleichen Sitz. Niemand hatte die Tür geöffnet und sie aus dem Fahrzeug gezerrt. Nichts war mit ihr geschehen.
Und die Angreifer?
Clara erkannte, dass sie verschwunden waren. Irgendetwas musste sie gestört haben, sonst wären sie nicht verschwunden.
Um besser sehen zu können, rieb sie sich die Augen.
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