1375 - Wächterin der Toten
das Erscheinen des Schutzengels pragmatisch zu sehen, was ihr auch gelang, denn die Großmutter war auch in ihrem Leben schon eine besondere Person gewesen, die ein bestimmtes Hobby gehabt hatte.
Sie hatte die Figuren von Heiligen und von Engeln gesammelt.
Überall war sie herumgereist auf der Suche nach immer neuen Figuren. Viele von ihnen hatte sie auch auf Flohmärkten gefunden. Manche auch in Andenkenläden, die sie auf ihren Reisen besucht hatte.
Jetzt stand sie allein. Die Eltern nicht erreichbar, die Großmutter tot.
Andere Verwandte gab es nicht, und wenn man so wollte, konnte sie sich sehr einsam fühlen.
Allerdings steckte da noch ein Erbteil der Eltern in ihr. Und das war die Dickköpfigkeit. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, wollte sie durchziehen.
Jetzt, da sie wieder normal dachte, würde sie auch einen Plan fassen. Sie musste im Leben ihrer Großmutter herumforschen.
Möglicherweise fand sie dort einen Punkt, der auf eine Spur hindeutete, die in das Geisterreich hineinführte.
Normalerweise hätte sie darüber gelacht. Nach diesen Erlebnissen jedoch nicht mehr. Das Erscheinen ihres Schutzengels sah sie als Beginn dieser Aufgabe an. Sie hatte Zeit. Es waren Ferien, und kaum jemand hielt sich noch an der Uni auf. Die Eltern hatten ihr zwar angeboten, die Kreuzfahrt mitzumachen, aber Clara hatte sich dagegen gewehrt. Sie wollte nicht mit alten oder älteren Leuten die gesamte Zeit über zusammen sein. Dafür hatten die Eltern Verständnis.
Sie musste lächeln, als sie daran dachte, dass jemand im Ort auf sie wartete. Er hatte sich im Gasthof einquartiert, der nicht weit vom Haus ihrer Eltern entfernt lag.
Es war ein junger Mann. Ebenfalls ein Student. Kennen gelernt hatten sie sich über das Internet. Es war um einen Virus gegangen, der zahlreiche Rechner hatte abstürzen lassen. Auch die an den verschiedenen Unis. Man hatte sich dagegen gestemmt und das Problem beseitigt. Vor allem hatten sich die Studenten dabei eingebracht, unter anderem auch der junge Mann aus London.
Später hatten sie telefoniert und über private Dinge gesprochen.
Beide waren sich sympathisch, und nachdem Bilder ausgetauscht worden waren, hatten sie sich verabredet.
In den Semesterferien wollte sie der junge Mann für einige Tage besuchen.
Sie hatten vor, Touren durch das Land zu machen, das an einigen Stellen so einsam war, als wäre es von den Menschen noch gar nicht entdeckt worden.
Zwei Nächte hatte der junge Mann aus London bereits im Gasthof verbracht, aber Clara Lintock wusste, dass sich das bald ändern konnte.
Sie waren sich einfach zu sympathisch, und wahrscheinlich würde sie den Freund überreden, zu ihr zu ziehen. Es war ihr egal, was die Leute dazu sagten.
Jetzt hatte sie noch einen zweiten Grund.
Dieser Vorfall hatte sie schon geängstigt. Sie konnte nicht eben sagen, dass sie ein sehr furchtsamer Mensch war, aber wenn es hart auf hart kam, würde sie schon Hilfe gebrauchen. Sie schätzte ihren Freund als jemanden ein, der dies durchaus leisten konnte.
Sie hatte Vertrauen zu ihm. Sie würde auch mit ihm über das Erlebte reden, und dann konnte man weitersehen.
Der junge Mann hieß Johnny Conolly!
***
Der alte Baum war für Johnny Conolly zu einem Lieblingsplatz geworden. Man konnte so herrlich unter seinem Laubdach sitzen und einfach die Seele baumeln lassen. Ein geschickter Mensch hatte um den Baumstamm herum eine Sitzbank gebaut, und wer darauf an der richtigen Stelle saß, der hatte das Gefühl, den kleinen Ort Tullich überblicken zu können und zudem noch tief hinein in die hügelige Landschaft der Provinz Tayside, die an Einsamkeit kaum noch zu übertreffen war und trotzdem nicht langweilig wirkte, weil sie von zahlreichen kleinen Seen oder größeren Lochs durchbrochen wurde, um die herum sich die wenigen Straßen schlängelten, die es in diesem Landstrich gab.
An diesem Mittag hatte Johnny seinen Lieblingsplatz wieder eingenommen. Das Blätterdach schützte ihn vor den Strahlen der Sonne, was er als gut empfand, denn er hätte nicht gedacht, dass der Sommer in Schottland so warm werden könnte.
Es gab zwar nicht unbedingt die langen durchgehenden Hitzewochen, aber wenn die Sonne es mal geschafft hatte, dann gerieten die Bewohner schon ins Schwitzen.
Johnny Conolly saß zwar allein unter dem Baum, aber er sprach trotzdem mit jemandem. Das Handy hielt er an sein Ohr gedrückt und hörte die Stimme seiner Mutter.
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