1379 - Zielstern Anklam
sich an die Stange und begann sich wie bei einem Karussell zu drehen. Nach zehn Umdrehungen hatte er genügend Schwung, und sein Hometrainer kommentierte: „Gut so. Beim letzten Mal hast du zwölf Umdrehungen gebraucht. Das war nach dem Festmahl anläßlich des Sieges auf Bentang."
Der Projektleiter ließ die Stange los und schnellte sich zur gegenüberliegenden Wand. Er verlor dabei fast die Hälfte der Höhe, die er gehabt hatte. Er bekam eine waagrecht montierte Stange zu fassen und zog sie an sich. Er fing seinen Schwung ab und stieß sich dann seitlich nach oben weg. Einer der Ringe tauchte in seinem Gesichtskreis auf, und er packte ihn mit der rechen Hand und schwang sich unter ihm hindurch hinauf zu einer anderen Deckenstange. Er griff um vom Ring zur Stange, ließ den Körper mit ausgestreckten Beinen durchschwingen, ließ los und segelte dicht unter der Decke über eine Entfernung, die dem Drei- bis Vierfachen seiner Körpergröße entsprach. Er stieß sich einen Fuß an dem Ball, der da hing, fuhr die Fußkrallen aus und versuchte, sich festzuhalten. Mit den Augen fixierte er jene horizontal montierte Stange in der Mitte der Halle, die er erreichen wollte.
Seine Füße rutschten ab. Sie fanden an dem rauhen Gummiball keinen Halt wie sonst. Ren-No stürzte plötzlich, und sein Herumschnellen und Greifen mit den Armen führte zu nichts. Die nächste Haltestange war viel zu weit entfernt.
Der Projektleiter krümmte den Körper zusammen, drehte sich in der Luft und winkelte die Gliedmaßen an.
Er landete auf allen vieren, rollte sich auf der weichen Matte ab und blieb dann verwundert und zugleich erbost liegen. „Tut mir leid", erklärte die Stimme des Hometrainers. „Du hast fast keine Punkte gemacht. Und die Körpernoten sind so unbefriedigend wie lange nicht mehr. Willst du sie hören?"
Ren-No fuhr auf, spreizte die Glieder, als müßte er sich überzeugen, daß sie noch heil waren. „Nein", sagte er. „Programm beendet. Ich habe keine Zeit mehr!"
Er wußte, daß das gelogen war. Der Automat akzeptierte es als Wahrheit und schwieg.
Der Kartanin verließ die Trainingshalle fluchtartig. Er schälte sich aus seiner Trainingshaut und begab sich dann unter das Warmluftgebläse, wo er mit der Fellreinigung begann. Gleichzeitig betätigte er einen der Servos und nahm etwas Flüssigkeit zu sich. In den spiegelnden Wänden betrachtete er seinen Körper.
Zu dick? Zu schwerfällig? fragte er sich. Er konnte weder einen Bauchansatz noch anderswo Anzeichen von Fettablagerungen erkennen. Er hatte genug Bewegung, fühlte sich wohl. Am Alter konnte es auch nicht liegen, denn er war relativ jung. Waren es die Sorgen, die ihn unkonzentriert machten, oder die Vorfreude. bald in demselben Raum, aber in einem anderen Universum turnen zu können?
Er konnte es nicht sagen. Seine Gedanken kehrten zu dem Projekt und der Kansahariyya zurück.
Kansahariyya war der kartanische Name für den Bund der Zweiundzwanzig, die Vereinigung jener Völker, die in der Galaxis Hangay am Projekt Meekorah arbeiteten. Er dachte ein paar Namen dieser Völker, Mamositu, Nakken, Vennok. Die Benguel und Juatafu gehörten nicht dazu. Die Juatafu waren Roboter unbekannter Herkunft und mit nicht definierbaren Zielen, und die Benguel galten als die Parias von Hangay, die Unruhigen und Umherziehenden. Sie waren Wesen, die keine Heimat im eigentlichen Sinn besaßen, keinen Ursprung. Sie landeten auf bewohnbaren Welten, ganze Armaden von Schiffen. Sie ließen sich darauf nieder, bewohnten die Planeten eine Zeitlang, etwa Jahrhunderte oder Jahrtausende.
Dann verließen sie ihn, und meist blieb eine geplünderte und abgenutzte Welt zurück, mit jenen Benguel, die über keine Intelligenz mehr verfügten, weil sie sie an den Nachwuchs übertragen hatten.
So zumindest wußte Ren-No es, und der Gedanke an die Zigeuner Hangays war es nicht wert, weitergedacht zu werden. Die Hintergründe waren völlig unbedeutend, deshalb stellte die Anwesenheit der Flotte aus Benguel und Juatafu im Anklam-System keine direkte Bedrohung, sondern lediglich eine Störung der Ordnung und Verunsicherung der Bewohner der einzelnen Welten dar. Die Benguel und Juatafu warteten lediglich. Sie warteten auf ihre Imago, und Ren-No fragte sich, wieso ausgerechnet der Fremde aus Meekorah diese Imago sein sollte.
Ein wenig empfand er es wie eine Drohung, daß selbst nach der Versetzung des dritten Viertels von Hangay nach Meekorah die Zigeuner und Nomaden noch immer in ihrem Orbit
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