138 - Die Pestburg
wäre mir wie Leichenfledderei vorgekommen. Aber ich dachte auch nicht einen Augenblick daran, sie zu begraben.
Ich schirrte die Rosse an, während Libussa unsere Habseligkeiten im Wagen verstaute. Als wir damit fertig waren, kletterten wir gemeinsam auf den Kutschbock.
„Los geht es", sagte ich und schnalzte mit der Zunge. Willig trotteten die treuen Pferde los. Verwirrt folgten uns einige Zeit die Klepper der Söldner, die Libussa und ich schließlich verjagten.
Wohin soll es gehen?" fragte ich.
„Das ist mir ziemlich gleichgültig, Gabor, aber nicht in Richtung Norden!"
Ich grinste. „Mein Bedarf an Söldnern ist für die nächste Zeit gedeckt."
Die folgenden Tage fuhren wir ziellos hin und her, doch ich mied die großen Städte wie Göttingen und Kassel.
Die auffälligen Aufschriften des Wagens entfernten wir, denn Wahrsager und Wunderheiler gaben sich in diesen unsicheren Zeiten nicht offen zu erkennen. Das hatte sich gerade noch Bethela erlauben dürfen, doch für Libussa und mich war es einfach zu gefährlich. Die Zigeunerin hatte zwar ihr Wissen an Libussa weitergegeben, doch im Augenblick konnte sie es nicht in klingende Münze umsetzen.
Tagsüber verwandelte sich Libussa in Janko, schnürte sich die Brust ab und trug Männerkleidung und achtete besonders darauf, daß nicht eine Haarsträhne zu sehen war, denn das Vorurteil gegen rothaarige Menschen war in dieser Gegend besonders ausgeprägt.
Einmal schlich ich in ein kleines Dörfchen und nahm in einer verschwiegenen Ecke der Schenke Platz, trank zwei Glas Bier, lauschte der Unterhaltung und stellte gelegentlich eine Frage.
Der glatzköpfige Marodeur hatte die Wahrheit gesprochen. Am 27. August war es am Rand des befestigten Dorfes Lutter zur Schlacht gekommen, die mit einer vernichtenden Niederlage des Dänenkönigs geendet hatte. Die Zahl der gefangenen Dänen wurde auf zweitausendfünfhundert geschätzt, die der Gefallenen auf sechstausend. Diese Zahlen waren sicherlich übertrieben, doch Christian hatte mehr als die Hälfte seines Heeres verloren.
Über den Ausgang der Schlacht schieden sich die Meinungen, doch alle waren glücklich, daß sich das Kampfgeschehen nach Norden verschob, so war man bis zum Frühling vor den Truppen sicher. Es waren friedliche Tage, die Libussa und ich verbrachten. Fast täglich jagte ich und kehrte stets mit reicher Beute zurück, gelegentlich stibitzten wir ein paar Eier, ein Hähnchen oder eine Gans, und bereicherten unseren Speisezettel mit allerlei Feldfrüchten und Obst.
Der Sommer war fast zu Ende, die milde Spätsonne schüttete ihr Licht auf die bunten, gelben und roten Herbststreifen, die sich durch das Grün und Braun der Wälder zogen.
Mein Verhältnis zu Libussa war höchst unterschiedlich. Anfangs wußte ich überhaupt nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte, da war ich verkrampft und schüchtern gewesen, während sie sich so benahm, als hätte sich überhaupt nichts geändert. Als ich diese Phase überwunden hatte, betrachtete ich sie als eine Art Schwester, doch das klappte auch nicht richtig, da ich mit Schwestern keine Erfahrung hatte. Bald schon schmolzen die brüderlichen Gefühle dahin wie Schnee in der Sonne, und nun kämpften die widersprüchlichsten Gefühle in meiner Brust. Ihre Schönheit und aufregende Weiblichkeiten wurden mir immer stärker bewußt, und während der Nacht verfolgte mich ihr Anblick in meinen Träumen.
Sie nahm gelassen und heiter meine Stimmungen hin und ließ sich nichts anmerken, ob sie etwas von meinen Gefühlen ahnte.
Eifrig studierte Libussa die alten Handschriften, die sie in einer von Bethelas Truhen gefunden hatte. Sie sammelte seltene Kräuter und Gewächse, die sie sorgsam trocknete und in einem Mörser zu Pulver zerdrückte und in kleine Fläschchen füllte. Manchmal stand sie während der Nacht auf und verschwand mit einem Leinensack und einem silbernen Dolch im Wald.
Bethela und Ludomil erwähnten wir nicht, wir sprachen auch nicht über meine angebliche edle Herkunft und den Schrecklichen, dessen Namen wir nicht kannten. Meine Hoffnung, daß Libussa ihre sinnlosen Rachegefühle aufgegeben hatte, war vergangene Nacht zerstört worden, denn sie hatte mir ihre schrecklichen Pläne verraten.
Ich rief mir die Unterhaltung ins Gedächtnis zurück.
In en Nächten war es nun schon recht kühl geworden, dünne Nebelschleier zogen vom Wald her zur Wiese, auf der wir unser Lager aufgeschlagen hatten.
Ich rückte näher zum Feuer und warf ein
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