1381 - Wanderer zwischen den Welten
ich nicht ging, hatte einen anderen Grund, und der hieß Cynthia Black.
Am Klang der Stimme nahm ich wahr, dass sie aufstöhnte. Nach einer schnellen Drehung schaute ich sie an. Sie hielt die Hände gegen ihr Gesicht gepresst und hatte eine starre Haltung eingenommen. Trotzdem schüttelte sie den Kopf.
Rasch war ich bei ihr. Ich fasste sie an der Schulter und schüttelte sie leicht.
»Was ist passiert?«
Cynthia stöhnte. Sehr langsam sanken ihre Hände nach unten. Die Antwort wurde mit flüsternder Stimme gegeben. Es sprach auch keine andere Person mehr. Die Blicke hafteten einzig und allein an Cynthia Black.
»Ich… ich … spüre sie …« Ein schnell Atemzug folgte. »Die … die… andere Person ist unterwegs.«
»Dein Zwilling?«, fragte ich, weil mir nichts anderes in den Sinn kam.
»Ja.«
Suko und ich und wahrscheinlich auch Norma warteten darauf, dass sie etwas hinzufügte, was sie allerdings nicht tat. Wahrscheinlich konnte sie nicht mehr sagen. Sie spürte etwas, aber das Geschehen war zu weit von ihr entfernt, als dass sie es hätte lokalisieren können.
»Ich brauche mehr Informationen – bitte!«
Mit meiner dringenden Stimme hatte ich zumindest erreicht, dass sie den Kopf anhob und mich anschaute. Ich sah den Ausdruck der Verzweiflung in ihren Augen. Sie tat mir in diesem Moment sehr Leid.
Aus ihren Augen sickerten Tränen, und die Lippen zuckten. Jetzt war sie gar nicht mehr in der Lage, eine Antwort zu geben.
Ich wollte sie nicht mehr quälen und richtete mich auf. Dabei stellte ich mir die Frage, wer wichtiger war. Sie oder Norma? Das hielt sich wohl die Waage. Norma konnte uns ebenso voranbringen wie Cynthia. Doch nur eine von ihnen benötigte Schutz. Es gab eben diese zweite Cynthia, und wir mussten damit rechnen, dass sie zu einer Feindin der echten geworden war.
Suko, der noch immer den Wächter spielte, nickt mir zu. Er hatte die gleichen Gedanken gehabt wie ich und meinte: »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Ich werde hier im Wagen bleiben und ein Auge auf Cynthia halten.«
»Danke.«
»Kümmere du dich um Norma.«
Ja, denn sie war so etwas wie der Schlüssel. Das Haus, in dem sie mit ihrem Freund Alain gelebt hatte, war für mich mehr als wichtig.
Dort hatte alles angefangen, und genau dort würde es auch zu einer Entscheidung kommen.
Die Frau mit den schwarzen Locken, die im Prinzip so harmlos aussah, grinste mich scharf an. Dieses Grinsen zeigte mir, dass sie nicht aufgegeben hatte. Ich las sogar eine stille Freude darin. Sie glaubte weiterhin an den Sieg. Das musste sie einfach. Da konnte ihr auch niemand einen Vorwurf machen, denn sie war einfach so geschaffen.
»Wir können«, sagte ich jovial.
»Klar, ich freue mich darauf.«
Das tat ich zwar weniger, doch ich war überzeugt, dass ich den richtigen Weg einschlug. Auch wenn da ein ungutes Gefühl war, denn das Verhalten der Cynthia Black hatte mir überhaupt nicht gefallen…
***
Manchmal hatte die Vampirin Justine Cavallo so etwas wie menschliche Gefühle. Oder besser ausgedrückt, sie handelte nach menschlichen Regeln und konnte sich dabei leicht in die Lage einer anderen Person hineinversetzen.
So etwas erlebte sie auch jetzt. Für sie spielte der Faktor Zeit eine Rolle. Er war knapp geworden. Sie wollte und musste sich beeilen, was nicht in ihrer Hand lag. Der Fahrer tat sein Bestes. Es war eine weite Strecke, die er zurücklegen musste. Justine ließ ihn in Ruhe. Irgendwelche Fragen stellte sie nicht, denn sie wollte ihn durch nichts ablenken.
War es tatsächlich Sorge um Jane Collins, die sie zu diesem Handeln trieb? Die blonde Bestie konnte es sich kaum vorstellen. Irgendwie weigerte sie sich, es zuzugeben. Sie lebten zwar zusammen unter einem Dach, trotzdem gingen sie verschiedene Wege, obwohl sich diese manchmal kreuzten, wenn sie den gleichen Gegner hatten.
Genau das schweißte sie zu diesem Bund zusammen. Der gemeinsame Feind, der sich im Laufe der Zeit hervorkristallisiert hatte. Das war es doch, und nichts anderes.
Jane war gut.
Justine war es ebenfalls.
Und gemeinsam konnten sie schon ein Bollwerk bilden, was auch hin und wieder geschah.
Dass Jane in eine private Klinik eingeliefert worden war, musste man als Zufall ansehen. Die städtischen Krankenhäuser waren zu weit entfernt gewesen, und bei ihr hatte alles sehr schnell gehen müssen. Im Gegensatz zu den normalen Krankenhäusern lagen diese anderen Kliniken recht weit vom großen Londoner Trubel entfernt. Hier konnten die Patienten
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