1382 - Götterfluch
hallten die Stimmen als kleine Echos wider. Finster war es nicht. Notlichter verbreiteten ihren Schein, sodass wir uns ohne eingeschaltete Taschenlampen bewegen konnten. Zudem kannte sich meine Begleiterin perfekt aus, und sie deutete irgendwann auf eine Tür, die sehr hoch war.
»Dahinter?«, fragte ich.
»Ja.«
Die Tür war offen.
Damit hatte Rebecca nicht gerechnet. Sie schaute mich an und wisperte: »Ich habe abgeschlossen, als ich ging.«
»Dann hat jemand nach Ihnen die Ausstellung betreten.«
Sie schaute sich um. »Aber wer ist es gewesen?«
Ich hob die Schultern.
»Kazar?«, murmelte sie.
»Abwarten.«
Ich will nicht behaupten, dass ich beunruhigt über die offene Tür war, aber so ganz gefiel mir das nicht. Ich hatte auch meine Probleme mit diesem Freund der jungen Frau. Ob er tatsächlich so uneigennützig handelte, war die große Frage.
Jedenfalls betraten wir die Ausstellung, und wir bewegten uns dabei fast wie Diebe. Wir konnten auch hier auf Lampen verzichten, und schon nach den ersten Schritten musste ich zugeben, dass meine Begleiterin mir keinen Unsinn erzählt hatte, denn sich hier umzuschauen, war wirklich ein Erlebnis.
Man betrat eine völlig andere Welt. Vor uns erhob sich eine mächtige Sphinx aus dem alten Ägypten. Wüstensand auf dem Boden. Ein ungewöhnliches Licht, das einen violetten Schein abgab und es so schaffte, Himmel und Erde ineinander fließen zu lassen.
Zwei Figuren des Totengotts Anubis waren als Wächter für die Sphinx aufgestellt worden, unter deren Kopf sich eine Öffnung befand, in die der Besucher in eine Höhle schreiten konnten. Von Rebecca erfuhr ich, dass sich dort das Zentrum befand.
»Also die Mumien?«
»Ja, und die Kanopen.«
»Okay, dann schauen wir mal.«
Meine Lockerheit sorgte dafür, dass Rebecca lächelte. Ich spielte ihr etwas vor, denn so locker war ich nicht. Mich hatte eine kitzelige Spannung erfasst, und ich dachte dabei immer wieder an das Kreuz, auf dem das Ankh fehlte.
Als wir den Eingang erreichten, malte sich ein verzerrtes Lächeln auf den Lippen der jungen Archäologin ab. Auch sie hatte es schwer, die Spannung zu unterdrücken, und ich tat ihr den Gefallen, als Erster die Grabstätte zu betreten.
Auch hier brannte Licht. Von der Decke her fiel es herab. Mehrere Lampen waren eingeschaltet. Ihre Strahlen fielen auf die fünf Särge mit den Mumien. In der Nähe standen jeweils die Gefäße mit den Innereien. Das alles war perfekt in Szene gesetzt. Der Besucher würde hineinkommen, auf die Särge zugehen und einen Blick auf die Mumien werfen können.
So sollte es sein.
Aber so war es nicht.
Denn die Mumien waren verschwunden!
***
Da ich vorging, hatte ich es zuerst gesehen. Ich blieb stehen und konnte es kaum fassen. Das waren tatsächlich leere Särge, die sich hinter einer Absperrung befanden. Man konnte nicht von normalen Sarkophagen sprechen, die waren in Ägypten geblieben, was wir hier sahen, waren Ersatzsärge, und ihre Oberteile bestanden aus durchsichtigem Glas oder einem ähnlichen Material.
Rebecca klammerte sich an meinem Arm fest wie ein ängstliches Tier. Auch sie hatte jetzt gesehen, was passiert war, und flüsterte mit scharfer Stimme: »Sagen Sie, dass es nicht wahr ist, was ich hier sehe.«
»Doch, es ist wahr.«
»Dann sind die Mumien wirklich weg?«
»Ich denke schon.«
»Man hat sie gestohlen, mein Gott, man hat sie gestohlen.« Rebeccas Stimme erstickte. Sie konnte nicht mehr sprechen.
Ich dachte anders darüber.
Sie mussten nicht unbedingt gestohlen worden sein. Man hatte das Ankh von meinem Kreuz geraubt. Das Zeichen für das ewige Leben, das sogar Leben erwecken sollte.
Wenn ich die beiden Komponenten in einer Verbindung zu den Mumien setzte, dann musste man damit rechnen, dass das Unmögliche möglich geworden war.
Zudem wäre dies nicht der erste Fall gewesen, in dem mir lebende Mumien begegnet wären.
Rebecca löste sich von mir und trat näher an die Absperrung heran. »Sie sind tatsächlich nicht mehr da! Was tue ich denn jetzt? Morgen ist Eröffnung. All meine Arbeit wurde zunichte gemacht. Wer kann dieser verdammte Dieb nur sein?«
Sie blickte mich an. Ihr Gesicht wirkte in diesem künstlichen Licht seltsam scharf geschnitten und zudem so blass wie das einer Leiche.
»Ich weiß es nicht. Man muss fragen, wer noch alles Zugang zu dieser Ausstellung hatte.«
»Ich – und…«
»Kazar«, sagte ich.
Ich wartete ab, bis Rebecca den Gedankengang zuende geführt hatte.
»Sie… Sie …
Weitere Kostenlose Bücher