1384 - Die Blut-Ruine
ansteigen. Ken überlegte noch, ob er wieder rufen sollte. Er tat es nicht. Dafür schaltete er seine Lampe aus, behielt sie allerdings beim Weitergehen noch in der Hand.
Nach der zweiten Stufe trat er ins Licht. Auf die helle Fläche, die sich auf der Treppe ausgebreitet hatte. Für ihn war es bereits der nächste Schritt zum Ziel, auf das er so irrsinnig gespannt war.
Die Treppe führte weiter nach oben. Aber zwischen diesen beiden Etagen lag ein Absatz.
Es war ein Raum, ein Zimmer, und die runden Wände wurden vom Lichtschein einer alten Ölleuchte erfasst.
Sie hatte ihren Platz auf der inneren Fensterbank gefunden.
Die Stimme hatte er gehört. Nun sah er auch die Frau, zu der sie gehörte.
Sie saß am Tisch und hatte den Kopf so gedreht, dass sie gegen den Ausgang schauen konnte. Das Licht blakte hinter ihr auf und erreichte nur ihren Rücken. Trotzdem sah Ken Kilmer genug und war von diesem Gesicht fasziniert.
So rein, so mädchenhaft. Eine sehr junge Frau, zu der ein anderes Outfit bestimmt besser gepasst hätte. Sie trug eine Kleidung, die für eine Beerdigung perfekt war. Ein dunkles Kleid, das bis zum Hals geschlossen war. Hinzu kam die Haube auf dem Kopf, von der aus sich nach zwei Seiten ein Schleier ausbreitete. Er endete auf ihren Schultern, und auch er war schwarz.
Da fiel dieses helle Gesicht mit den runden Wangen und dem kleinen Kussmund schon auf.
Es war okay, dass Ken die Unbekannte getroffen hatte. Was ihm nur nicht gefiel, war ihr Verhalten. Sie hatte ihn mal gerufen, aber jetzt sagte sie nichts.
Er senkte seinen rechten Arm. So fand sich der Kreis des Lichtstrahls auf dem Boden wieder. Noch saß Kilmer die Kehle zu, und er musste sie erst freiräuspern, bis er ein Wort sagen konnte.
»Wer bist du?«
Die Lippen zuckten. Dann lächelte die Frau und gab mit leiser Stimme ihre Antwort.
»Ich heiße Serena…«
Es war der Augenblick, an dem sich der Graben zwischen den beiden Menschen schloss. Ken Kilmer ging plötzlich davon aus, genau das Richtige getan zu haben. Er freute sich über die Antwort wie ein kleiner Junge über sein Geburtstagsgeschenk, denn er wusste jetzt, dass ihm diese Person ein gewisses Vertrauen entgegenbrachte, sonst hätte sie ihm nicht ihren Namen verraten.
»Ich heiße Ken…«
Serena ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ein sehr schöner Name. Ich kannte ihn vorher nicht, aber er gefällt mir.«
»Danke.« Ken spürte die Verlegenheit in sich hochsteigen. Er wusste nicht, wie er sich dieser Person gegenüber verhalten sollte.
Auf der einen Seite fühlte er sich fremd, auf der anderen aber fühlte er sich auch zu dieser Person dermaßen stark hingezogen, dass es schon mehr als nur Sympathie war.
Als dieser Gedanke in ihm hochstieg, bekam er einen roten Kopf, und er hatte das Gefühl, fast platzen zu müssen. Zum Glück war es so dunkel, dass die Veränderung keiner bemerkte, und Ken schaffte es zudem, sich wieder den normalen Dingen zu widmen.
»Was tust du hier?«, flüsterte er.
»Ich warte.«
»Ach.« Mit dieser Antwort hatte Ken nicht gerechnet. »Auf wen oder was wartest du denn?«
»Auf dich.«
Ken wollte lachen. Es klappte nicht. Stattdessen schluckte er.
»Aber wieso kannst du auf mich warten, Serena, du kennst mich ja nicht.«
»Oh, ich wusste schon, dass du kommen würdest. Man lässt mich nicht im Stich.«
»Ja«, murmelte er, »das kann sein.« In seinem Kopf schwirrten die Gedanken. Er war noch immer nicht mit sich im Reinen. Was er hier erlebte, war schwer zu begreifen. Trotz aller Unwägbarkeiten kam ihm nicht in den Sinn, dass diese Person ihn angelogen hatte. Sie war so edel, so rein, so unschuldig in seinen Augen, und er verspürte plötzlich den Drang, auf sie zuzugehen und sie einfach in die Arme zu nehmen.
Noch traute er sich das nicht. Er wollte zunächst mehr über sie wissen und fragte deshalb: »Soll ich dich denn hier herausholen? Möchtest du das?«
»Gern.« Um ihre Lippen huschte ein Lächeln. »Gern, denn ich bin auf der Suche.«
»Und wen suchst du?«
»Meinen Retter.«
Die Antwort verschlug ihm die Sprache. Er musste zunächst darüber nachdenken, was das sollte. Wenn er es richtig interpretierte, dann gab es nur eine Person, die dieser Retter sein konnte, und zwar er selbst. Etwas anderes kam ihm nicht in den Sinn.
»Und ich soll dich hier aus dem Turm herausholen?«, fragte er.
»Ich soll der Prinz sein, der die Erlösung bringt?«
»Das kann sein, mein Freund.«
Sein Mund verzog sich in die Breite. Er musste
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