1384 - Die Blut-Ruine
passierte auch auf dem restlichen Weg nicht, und so blieb er vor dem Turm mit klopfendem Herzen stehen.
Der Ein- oder Zugang war für ihn nicht zu übersehen. Innerhalb des Mauerwerks war das Loch geschlagen worden, und zwar so hoch, dass er sich nicht bücken musste, um in den alten Bau hineinzugehen.
Zuvor schaute er noch mal an der Außenfassade in die Höhe.
Ja, über ihm lag das Fenster. Er sah es jetzt weniger als einen Umriss, sondern mehr als schwachen Schein, der sich um die Öffnung herum ausbreitete.
Die Stimme schwieg. Gerade jetzt wünschte er sich, sie zu hören.
Den Gefallen tat sie ihm nicht.
Ken Kilmer überlegte krampfhaft hin und her. Sollte er die Initiative ergreifen oder noch länger abwarten? Er entschied sich dagegen. Er wollte es beschleunigen, auch wenn ihm dabei alles andere als wohl in seiner Haut war.
»Hallo…«
Es war nur ein leiser Ruf gewesen. Zu mehr hatte er sich nicht getraut.
Für einen Moment schloss Ken die Augen und überlegte weiter.
Den Kopf legte er in den Nacken und ließ noch mal an der Außenmauer hoch seinen Ruf erklingen.
»Ist dort jemand? Soll ich hochkommen? Soll ich dich holen oder befreien?«
Bei dem letzten Wort schüttelte er beinahe über sich selbst den Kopf. So hätte auch der Märchenprinz fragen können. Wie er in der Geschichte von Dornröschen, erhielt auch Ken keine Antwort. Für ihn war es aber kein Grund, aufzugeben.
»Gut«, machte er sich Mut, »dann werde ich eben selbst nachschauen. Es gibt dich, das weiß ich. Das weiß ich verdammt genau, und ich werde dich auch finden.«
Er musste sich einfach so entschlossen geben, um die eigene Furcht zu überwinden, und nach zwei Schritten hatte er die Grenze überwunden und befand sich innerhalb des Turms.
Von nun an wurde alles anders.
Die Taschenlampe brannte noch, und so konnte er sich zumindest orientieren.
Einen Menschen sah er nicht. Es hatte auch kein Tier auf ihn gewartet, das durch das helle Licht verscheucht worden wäre. So war und blieb er allein und war beinahe froh, als er um sich herum eine gewisse Normalität entdeckte, denn es gab eine Treppe, die in die Höhe führte und als Wendeltreppe genau zu diesem Turm passte.
Den ersten Schritt war er gegangen. Es kostete ihn jetzt eine gewisse Überwindung, auch den nächsten zu gehen. Kilmer vertraute auf sein Glück und nahm die Treppe in Angriff.
Dass er die Taschenlampe bei sich trug, gereichte ihm zum Vorteil. Er ließ den Strahl von einer Seite zur anderen schwanken, sodass er so viel wie möglich ausleuchten konnte.
Feuchte Wände. Ein alter Geruch, der aus den Steinen kroch. Und natürlich eine Treppe, die er vorsichtig anging. Er leuchtete die Stufen ab, um nachzuschauen, ob sie brüchig waren oder nicht. Was er sah, ließ ihn zufrieden nicken.
Die Treppe war okay. Zwar zeigten die Stufen unterschiedlich breite Risse, aber er vertraute darauf, dass sie sein Gewicht hielten, und so setzte er seinen Weg nach oben fort.
Angst verspürte er nicht mehr. Wohl ein recht starkes Herzklopfen. In seinem Leben hatte er ein derartiges Abenteuer noch nie zuvor erlebt. Kilmer bewegte sich in einer fremden Welt, und auch der Gedanke an die weiche Frauenstimme konnte ihn nicht trösten.
Die Gefahr blieb, er musste sie nicht mal sehen. Er spürte sie mit jeder Faser seines Körpers.
Er stieg die Stufen hoch, lauschte dabei seinem eigenen Herzschlag und folgte dem Licht der Taschenlampe. Er erreichte den ersten Wendel der linksgedrehten Treppe, schaute hinauf und wartete, dass sich jemand meldete.
Den Gefallen tat man ihm nicht. Es blieb weiterhin sehr still, und nur seine eigenen Geräusche waren zu hören, obwohl er sich bemühte, so leise wie möglich zu sein.
Der Turm kam ihm vor wie eine düstere Welt, die ihn geschluckt hatte. Hier gab es nichts anderes, auf das er sich hätte verlassen können, er war auf sich allein gestellt.
Die nächsten Stufen legte er zurück, und als er zweimal um eine Kurve gegangen war, da schaltete er seine Lampe aus. Ken Kilmer wollte nicht unbedingt in der Dunkelheit weitergehen, doch es gab schon einen Grund für sein Verhalten, denn er hatte sich an den Lichtschein erinnert. Er war nach draußen geflossen, aber er musste auch hier drinnen zu sehen sein, und darauf setzte er.
Ken Kilmer sah den Schein.
Von oben schlich er förmlich herab. Er legte sich wie ein weicher Hauch über die Stufen der Treppe.
Sein Wissen, das Ziel beinahe erreicht zu haben, ließ die Nervosität wieder in ihm
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