1384 - Die Blut-Ruine
keinesfalls die Stufen der Wendeltreppe hochstürmen. Deshalb holte ich meine Leuchte hervor, die recht lichtstark war.
Der helle kalte Strahl brachte keinerlei Überraschungen für mich zum Vorschein. Ich hatte auch nicht erwartet, dass man mich hier unten oder am Beginn der Wendeltreppe erwartete. So ging ich in ein altes Gemäuer, das mit dem entsprechend Geruch angereichert war, den die kalten Steine abgaben.
Ken Kilmer war die Stufen der Treppe zuerst hochgegangen und sie dann hinabgefallen. Auf der ersten Stufe sah ich auch Kilmers Taschenlampe liegen, die er bei seinem Sturz verloren hatte. Ich hob sie nicht auf und verließ mich weiterhin auf meine Leuchte, deren Strahl einen sicheren Weg durch die Dunkelheit fand und auch die ersten Stufen erreichte, wo sie einen hellen Fleck hinterließ, der dann weiterwanderte und mir immer drei, vier Stufen voraus war.
Natürlich blieb ich weiterhin sehr aufmerksam und dämpfte meine Schritte so gut wie möglich. Das leise Kratzen war leider nicht zu vermeiden. Ein Geländer gab es nicht.
Bisher war alles normal verlaufen. Ein Mann steigt die Wendeltreppe in einem Turm hoch, das war alles. Es gab nicht mal Fledermäuse, die ich aus ihrem Schlaf gerissen hätte.
So setzte ich den Weg fort.
Dann aber blieb ich an einer bestimmten Stelle stehen und löschte das Licht, denn etwas war mir aufgefallen.
Ein leises Zischeln und Wispern, als wollten Stimmen aus dem Unsichtbaren mit mir Kontakt aufnehmen. Ich konzentrierte mich eine Weile auf dieses Geräusch und stufte es nicht als eine Gefahr ein.
Weiter!
Ich wollte die Taschenlampe wieder anknipsen, mein Finger lag auch schon auf dem kleinen Schalter, doch ich zögerte. Es hatte sich etwas verändert. Zwar berührte es mich nicht unmittelbar, aber es war schon anders geworden, denn die vor mir liegenden Stufen waren nicht mehr so dunkel, weil sich von oben her ein schwacher Schein darauf gelegt hatte. Der allerdings konnte nicht für das Wispern verantwortlich sein, da musste es einen anderen Grund geben.
Okay, ich ging wieder hoch. Diesmal brauchte ich meine Lampe nicht. Ich orientierte mich am Schein des Lichts, der einige Stufen weiter auch heller wurde.
Durch Kilmers Bericht wusste ich, dass ich die entsprechende Etage bald erreichen würde. Ich nahm den letzten Wendel, hörte diese Stimmen wieder und diesmal deutlicher – und dann die Stimme einer Frau, die das Wispern übertönte.
»Hörst du das qualvolle Flehen der Toten, John…?«
***
Ich blieb stehen, denn mit dieser Begrüßung hatte ich nicht gerechnet. Ich kannte auch die Stimme nicht, aber es war die einer Frau gewesen. Nachdem, was ich wusste, musste ich davon ausgehen, dass es sich nur um Serena handelte, die gesprochen hatte.
Über meine Lippen huschte ein Lächeln. Ich fühlte mich nicht bedroht, sonder wurde erwartet, was die Spannung in mir erhöhte.
Ich ging weiter über die ausgetretenen Stufen nach oben und musste noch eine Kurve schaffen, dann war ich da.
Das Jammern blieb. Die Geister der Toten wollten mich einfach nicht loslassen. Sie stammten aus einer Vergangenheit, die ich nicht kannte.
Das andere Licht war nicht grell. Es schimmerte rötlich mit einem gelben Innenleben, und ich konnte mir vorstellen, dass es nicht von einer normalen Lampe abgestrahlt wurde. Es flackerte auch nicht, eine Kerze kam also ebenfalls nicht in Frage.
Bevor ich die letzten drei Stufen nahm, gelang es mir, einen Blick über das Ende der Treppe hinweg in den entsprechenden Raum zu werfen. Beschrieben hatte Kilmer ihn mir nicht, und es gab auch wirklich nichts groß zu beschreiben.
Wer aus der Dunkelheit kommt und in das Helle hineinschreitet, dem fällt zuerst das Licht auf. So war es auch bei mir. Ich schaute automatisch zur Fensteröffnung hin und sah dort eine Ölleuchte stehen, die diesen Schein verbreitete.
Sie beleuchtete auch eine Person, die nicht weit von der Lichtquelle entfernt stand.
Es war genau die Person, die mich schon in meiner Wohnung besucht hatte…
***
Innerhalb einer winzigen Zeitspanne baute sich zwischen uns eine Wand auf. Sie war nicht zu sehen, denn es war eine Wand aus gespanntem Schweigen. Es roch nicht nach einer Gefahr, doch jeder lauerte darauf, dass der Andere etwas unternahm, und so bekam ich Zeit, mir Serena genau anzuschauen.
Sie hatte sich nicht verändert. Man konnte bei ihr von einem wirklich lieben Eindruck sprechen. Oder von einer explosiven Mischung aus Unschuld und Bosheit. Wer sie zum ersten Mal sah, der
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