1391 - Die Nacht des Pfählers
noch immer nicht, wo Marina ist.«
»Rechne damit, dass sie entkommen ist«, sagte Suko.
Dunja zuckte leicht zusammen. »Und wenn nicht?«
»Der Nebel ist dicht. Auch ein Blutsauger kann dort nicht normal sehen. Zudem gibt es im Wald zahlreiche Verstecke.«
»Aber sie riechen das Blut. Sie riechen Menschen.«
Ich griff ein und schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Sinn, wenn wir hier bleiben und uns Sorgen machen. Wir müssen beide finden. Marina und auch Frantisek.«
Dunja erschrak fast bei meiner Antwort. »Dazu… dazu … müssten wir in den Wald.«
»Stimmt.«
Suko und ich sahen, dass sie schluckte. »Aber es ist dunkel, und der Nebel…«
»Alles richtig«, sagte ich. »Aber welche andere Möglichkeit bliebt uns denn? Sollen wir hier im Haus warten und darauf hoffen, dass beide plötzlich hier auftauchen, und alles ist gut?«
Dunja senkte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, flüsterte sie. »Ich weiß überhaupt nicht, was ich tun soll oder nicht.«
»Gut, dann schauen wir uns im Wald um«, erklärte Suko und stand bereits auf.
***
Wie ein Tier hatte sich Marina verkrochen. Es war ihr zudem gelungen, einen guten Platz finden. Sie hatte sich förmlich in das Laub hineingeschoben und es so zerwühlt, dass eine Höhle entstanden war. Allerdings lag es locker über ihr, und so bekam sie genügend Luft.
Ich lebe!, hämmerte sie sich ein. Ich lebe noch! Ich habe es geschafft! Sie hat mich nicht bekommen!
Immer wieder hielt sich Marina das vor Augen. Aber sie dachte auch an ihre Freundin Dunja und ging davon aus, dass diese nicht so viel Glück gehabt hatte wie sie. Sollten sie je wieder zusammentreffen, würde sie versuchen, das Blut Marinas zu trinken.
Eine Hexe wird zu einer Vampirin!
So hatte es sich Dracula II ausgedacht. So lautete sein Plan. Das war ihnen von Assunga gesagt worden. Aber Assunga hatte dabei gelächelt, und Marina dachte an die entscheidenden Worte, die man ihr eingeimpft hatte. Ihr und den anderen Freundinnen.
»Unsere Gegner werden Probleme bekommen«, hatte Assunga gesagt, »denn ich habe euch vorbereitet. Denkt daran, was ihr getrunken habt, bevor wir alles besprachen.«
Daran dachte Marina jetzt. Es war ein ungewöhnlicher Trunk gewesen. Ein warmes Gebräu von einer undefinierbaren Farbe.
Assunga selbst hatte den Trank nach einem uralten Rezept gebraut, und sie hatte nicht gesagt, aus welchen Inhaltsstoffen er bestand.
Aber Marina und Dunja hatten ihn zu sich genommen, denn sie vertrauten Assunga voll und ganz. Viele Erklärungen hatte es nicht mehr gegeben. Sie waren von der Schattenhexe losgeschickt worden, um nach Mallmann Ausschau zu halten.
Sie dachte auch daran, dass Assunga von einer längeren Wirkung gesprochen hatte, die sich vor allen Dingen auf das Blut auswirkte.
Und darauf kam es ihnen an.
Marina dachte daran, dass sie nicht ewig in ihrem Versteck bleiben konnte, obwohl die Wärme des Laubs ihr gut tat. Sie musste irgendwann raus und aus dem verdammten Wald finden.
Die Gedanken an Assunga hatten sie gestärkt. Die Angst war leicht zurückgewichen. Sie konnte wieder frei durchatmen. Es störte sie nur, dass zahlreiche Blätter in ihrem Gesicht klebten, die sie allerdings wegwischte, als sie den Kopf vorsichtig ins Freie geschoben hatte.
Da spürte sie plötzlich eine Berührung an ihrem Haar, die sie erschreckt zusammenfahren ließ.
Es war kein Finger gewesen, der sie angestoßen hatte, sondern der wippende Zweig eines Nadelbaums. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Marina merkte, dass sie die große Furcht überwunden hatte.
Jetzt ging es ihr wieder besser.
Noch immer hockte sie mit dem Oberkörper im Laub. Sie drehte den Kopf, um etwas von ihrer Umgebung wahrnehmen zu können.
Da gab es nichts. Eine dunkle Schattenwelt, durch die Nebelschwaden trieben.
Sie steckte in einem Wald, deren Bäume sie nur als Schemen erkannte, als hätte sie die Kälte zu eingefrorenen Gespenstern gemacht.
Sie stand sehr langsam auf und musste feststellen, dass die Beine noch immer bis zu den Schienbeinen im Laub versunken waren.
Beim Gehen würde es ein Problem geben, denn lautlos, wie sie es gern gehabt hätte, würde sie sich nicht durch den Wald bewegen können.
Zum Glück blieb das Laub nicht so tief. Das war nur an bestimmten Stellen der Fall, wo es der Wind hingeweht hatte.
Eine völlig fremde Umgebung hatte sie verschluckt. Es wäre noch zu ertragen gewesen, hätte der Nebel nicht dafür gesorgt, dass die Sicht noch schlechter wurde. Marina wusste nicht, in
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