1391 - Die Nacht des Pfählers
veränderten sich sogar, denn zwischen den einzelnen Keuchlauten hörte sie eine Männerstimme.
Sie war einen Moment durcheinander, schüttelte auch den Kopf.
Und jetzt?
Sie sah den Schatten, der regelrecht durch den Nebel brach. Und er verwandelte sich in einen Menschen, der plötzlich zum Greifen nahe war.
Es war der Mann, den sie und Dunja vor den Vampiren gerettet hatten!
Der Pfähler selbst hatte Marina noch nicht gesehen. Ihre Deckung war einfach zu gut, aber sie wollte ihn auch nicht vorbeilaufen lassen.
»Marek…«
Obwohl sie nur leise gesprochen hatte, wurde sie gehört. Der alte Mann stoppte, schwankte beim Stehen etwas und riss seinen rechten Arm hoch.
Marina sah den Pfahl. Sie blieb neben dem Baum stehen und zischte: »Nein, nicht!«
Die Hand sank nach unten, aber nur zögerlich.
»Ich bin es doch!«
»Wer?«, flüsterte Marek.
»Wir haben dir geholfen.«
Für einige Sekunden stand er unbeweglich. Er musste erst nachdenken. Dann fragte er: »Du bist eine von den Frauen, die die Scheibe eingeworfen haben?«
»Ja.«
Marina löste sich aus ihrer Deckung. Noch wies die Spitze des Pfahls auf sie, aber dann sah sie, dass sich der Mann entspannte.
»Es ist schon gut«, sagte er leise. Danach ging er nach hinten und war froh, sich an einem Baumstamm anlehnen zu können. Er hielt sich trotzdem nur mühsam auf den Beinen.
Marina brauchte nicht zweimal hinzuschauen, um zu wissen, dass der Mann eine Hölle hinter sich hatte. Er hatte gekämpft, und er hatte, wie es aussah, auch gewonnen. Aber er hatte dabei Kraft lassen müssen, das war ihm anzusehen.
»Soll ich dich stützen?«, fragte sie und trat dicht an ihn heran.
»Nein, nicht nötig. Ich brauche nur ein wenig Ruhe. Pass du lieber auf, das ist besser.«
»Auf was soll ich denn achten?«
»Es gibt Verfolger.«
»Wen denn?«
Nach dieser Frage musste Marek lachen. Er schüttelte dabei auch den Kopf. »Es ist nicht Dracula II. Nein, er kann mich nicht mehr verfolgen. Der kann keinen mehr verfolgen. Es ist die Frau, die Vampirin, die Sofia heißt. Und sie hat ihre Messer.«
Der Pfähler hatte innerhalb weniger Sekunden viel gesagt, und damit musste Marina erst fertig werden und alles im Kopf sortieren.
Bei einer Bemerkung blieb sie hängen.
Ihre Frage zielte darauf ab. »Ähm… was meinst du damit? Wieso kann er keinen mehr verfolgen?«
Marek drückte seinen Rücken gegen den Stamm. Vor seinem Gesicht tanzten einige Blätter, die noch an einem tief wachsenden Zweig hingen. »Er kann deshalb niemandem mehr gefährlich werden, weil ich ihn… weil ich ihn … einfach gepfählt habe!«
Jetzt war es heraus, und Marek musste einfach lachen. Es brach aus ihm hervor, und es schüttelte ihn durch.
Marina war sprachlos. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie noch glauben sollte. In alle Einzelheiten hatte Assunga ihre Freundinnen nicht eingeweiht. Sie wusste allerdings, dass dieser Mallmann unwahrscheinlich mächtig war. Er war Kaiser, er war König der Blutsauger. Er hatte sich seine eigene Vampirwelt aufgebaut, und jetzt sollte er nicht mehr existieren?
Sie musste sich erst fassen, um etwas sagen zu können. »Das… das kann ich nicht glauben.«
Marek machte eine abwinkende Handbewegung. »Du kannst dorthin laufen, wo ich hergekommen bin. Dort wirst du ihn finden. Er liegt bäuchlings im Laub. Kann sein, dass er bereits verfault ist, denn ich habe es geschafft, ihm meinen Pfahl in den Rücken zu rammen. Ich habe ihn fallen und liegen sehen, aber ich konnte nicht warten. Ich musste verschwinden. Sofia konnte ich nicht mehr killen…«
Marek hielt inne. Er war noch immer ziemlich erschöpft, und Marina wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie starrte ins Leere oder hinein in den Nebel. Durch ihren Kopf rasten viele Gedanken, ohne dass diese in eine vernünftige Reihe gebracht werden konnten.
»Dann ist wohl alles im Lot – oder?«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte er. »Es gibt noch diese Sofia.«
Marina lachte. »Keine Sorge, die wird trauern, weil ihr großer Herr und Meister nicht mehr lebt.«
»Hoffen wir es.«
»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte sie.
»Wir können gehen.« Marek richtete sich wieder auf.
»Heißt das«, fragte Marina noch immer erstaunt, »dass wir den Wald verlassen?«
»Genau das heißt es.«
»Nun ja, wenn du den Weg weißt. Ich bin wirklich völlig von der Rolle.«
»Es gibt hier keinen Weg.«
»Na dann…«
»Wie heißt du eigentlich?«
»Marina.«
»Okay, Marina. Es gibt zwar keinen
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