1391 - Die Nacht des Pfählers
dichten Nebel drang es hervor, und es waren die Geräusche von Schritten. Wenig später sah sie die beiden Frauen, mit denen sie sich bisher nur in ihrer Fantasie beschäftigt hatte. Sie waren sogar näher gekommen.
Auf der Straße hoben sich ihre Umrisse ab. Der Blutgeruch hätte sich verstärken müssen, aber das tat er nicht. Er war fast verschwunden, und er konnte jedenfalls nicht von den beiden stammen.
Wirre Gedankenfetzen huschten durch ihren Kopf. Sie wusste, dass es da etwas gab, aber sie bekam ihre Gedanken nicht unter Kontrolle. Sie wusste nicht, wie sie die Bilder zusammensetzen sollte, aber eine der beiden Opfer hatte überlebt, obwohl Jossip und Sandro sich mit ihr hatten befassen wollen.
Nun existierten Jossip und Sandro nicht mehr, das hatte Sopia deutlich gespürt, und das hatte sie auch Mallmann gesagt. Sie hatte auch den Schuss gehört.
Sofia hätte gern vor Wut geschrieen. Da hielt sie sich am besten mit zurück. Sie wollte den Moment der Überraschung genau abwarten und dann zuschlagen…
Die beiden gingen jetzt schneller, was ohne weiteres möglich war, denn auf der Straße gab es keine Hindernisse, die zu Stolperfallen werden konnten. Es würde nur mehr Sekunden dauern, bis sie auf einer Höhe mit der Vampirin waren.
Sofia machte sich sprungbreit.
Noch einen Moment warten, dann startete sie und huschte von der Seite her wie ein tödlicher Schatten heran…
***
Marina und Dunja blieben stehen, als hätte man ihnen ins Gesicht geschlagen. Sie waren darauf gefasst gewesen, angegriffen zu werden. Da aber in den letzten Minuten nichts dergleichen passiert war, hatten sie sich ziemlich sicher gefühlt und waren um so überraschter, dass plötzlich jemand vor ihnen stand und den Weg breitbeinig versperrte.
Trotz des Nebels hatte Marina sofort erkannt, wer sie da aufhalten wollte. Es war die Person, die ihr Blut hatte trinken wollen und der sie entkommen war.
»So sieht man sich wieder«, sagte Marina.
»Ja, bestimmt.« Sofia fühlte sich als Siegerin. Sie kam noch näher und nickte. »Es ist perfekt, es ist wirklich meine Glücknacht heute, gleich zwei von euch zu erwischen.«
»Du irrst dich!«, sagte Marina.
»Ach ja?«
»Unser Blut wird dir nicht schmecken!«
Der Ton macht die Musik, das wusste auch Sofia Milos. Und dieser Ton gefiel ihr überhaupt nicht. Er hatte einfach zu sicher geklungen, als hätten die beiden wirklich Trümpfe, die sie noch versteckt hielten.
Sie erinnerte sich an das ungewöhnliche Wechselspiel des Geruchs. Zunächst hatte sie das Blut gerochen, doch dann war alles anders gekommen, und darüber machte sie sich jetzt erneut ihre Gedanken.
»Das wird sich noch herausstellen«, erklärte sie. »Ich lasse mich nicht so leicht bluffen.«
»Bitte.« Marina lächelte, als sie vortrat. »Bitte, du kannst es versuchen.«
»Was?«
»Den Biss. Du sollst den Biss ansetzen. Ich will es so. Ja, ich warte sogar darauf.« Um die Vampirin noch mehr zu provozieren, drückte sie den Kopf nach rechts, damit ihre linke Halsseite frei lag und der Biss dort perfekt angesetzt werden konnte.
Sofia Milos war überrascht. Sie überlegte, ob sie ihren Plan ändern sollte, doch das wollte sie dann auch nicht. Wenn sie sich jetzt zurückzog, konnte die andere Seite dies als Sieg verbuchen.
»Willst du nicht?«
»Doch!«
Sofia sprang vor. Sie packte Marina heftig und zerrte sie zu sich heran.
Dunja schrie vor Schreck auf. Dabei blieb es, denn sie traute sich nicht einzugreifen.
Das Gesicht mit dem weit geöffneten Maul raste auf die linke Halsseite zu. Zwei Zahnenden blitzten aus dem Oberkiefer hervor wie Lanzenspitzen, und noch in der gleichen Sekunde biss die Vampirin zu. Sie Spitzen ihrer Blutzähne federten für einen Moment auf der straffen Haut, bis diese riss und die beiden Spitzen tief eindrangen.
Zum ersten Mal erlebte Sofia das Gefühl, ein Vampir zu sein. Sie wollte das Blut saugen, es sollte in ihren Rachen sprudeln, sie würde Kraft bekommen und…
Ja, es sprudelte ihr in den Rachen. Sie spürte es auf der Zunge, doch diese wunderbare Süße des Blutes, mit der sie gerechnet hatte, war nicht vorhanden.
Stattdessen erlebte sie etwas anderes. Einen ekelhaften und widerlichen Geschmack, wie er abstoßender und schlimmer nicht sein konnte. So hatte sie sich ihren ersten Biss nicht vorgestellt. Für sie war die Flüssigkeit Gift, reines Gift, und sie fuhr mit einem wilden Schrei zurück, als sie ihre Zähne vom Hals der Frau gelöst hatte. Für einen Moment stand sie
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