1394 - Die Rachehexe
tatsächlich gibt und sie eine Anführerin namens Assunga haben. Sie rettete mir das Leben und führte mich auf einen neuen Weg. Er brachte mich hierher in diesen Ort und damit zu meinen Wurzeln. Ob meine Ahnin nun eine echte Hexe gewesen ist oder nicht, das will ich dahingestellt lassen. Für sie kann ich nicht sprechen, aber ich kann für mich reden, und deshalb sage ich auch, dass ich eine bin. Ja, vor Ihnen steht eine Hexe…«
***
Es war so etwas wie der erste Teil ihrer Rede gewesen, und die Zuschauer im Saal zeigten sich schon ein wenig geschockt.
Jane und ich duckten uns, als Cornetta über die Köpfe der Anwesenden hinwegschaute. Sie fühlte sich offenbar als Königin, sie hielt die Arme vor der Brust verschränkt und gab so zu erkennen, dass sie es war, die hier das Sagen hatte.
»Wir nähern uns dem Finale«, sagte Jane leise.
»Und ob.«
»Ich wundere mich nur, dass nichts aus dem Publikum kommt. Die Leute nehmen alles einfach so hin, wo die Menschen doch so aufgeklärt sein wollen.«
»Das ist die eine Seite, Jane. Es gibt auch noch eine andere. Je intensiver die Technik und je aufgeklärter die Menschen angeblich sind, um so mehr wächst auch die Sehnsucht nach dem Dingen dahinter. Das ist nun mal so.«
Ein Stuhl wurde gerückt. In der Stille war das Geräusch überlaut zu hören. Wir schauten auf und sahen, dass sich weiter vorn – in der dritten Reihe wohl – ein Mann erhob.
Wir sahen ihn nur von hinten. Er trug eine Lederjacke, stieß seinen rechten Arm vor und hatte die Hand dabei zur Faust geballt.
»He, was erzählst du uns hier für einen Mist, Cornetta? Du siehst dich selbst als Hexe an?«
»Ja, denn ich bin eine.«
»Wo ist denn dein Besen? Ha, ha, ha…« Er lachte laut, und einige der Zuhörer stimmten sogar in das Gelächter ein. Es waren nur wenige, den meisten war die Rede der Cornetta Schibone schon unter die Haut gegangen.
»Ich wusste, das eine so dumme Frage kommen wird. Hexen, die auf Besen durch die Lüfte ritten, mag es gegeben haben, aber heute sind wir Hexen anders.«
»Was könnt ihr denn?«
»Das werde ich euch noch beweisen, doch jetzt wäre es besser, wenn Sie sich setzen.«
»Ja, setzen Sie sich!«, riefen auch andere. »Cornetta ist mit ihrer Rede noch nicht zu Ende.«
»Danke für die Unterstützung. Es stimmt, ich habe meine Rede noch nicht beendet.«
»Was wird noch kommen?«, flüsterte Jane mir zu.
»Die Wahrheit. Die gesamte Wahrheit«, murmelte ich. »Und ich bin gespannt, wie die Menschen sie aufnehmen werden.«
Ich war froh, dass uns Cornetta Schibone noch nicht entdeckt hatte. Sie genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. Sie hob beide Arme und breitete sie aus.
»Ich werde wieder auf die Vergangenheit zurückkommen. Man hat sich hier in Preston an die furchtbaren Verbrechen erinnert. Jetzt sollen sie gesühnt werden, und hier, wo ich stehe, wollte der Bürgermeister reden. Er ist nicht gekommen, über die Gründe werden wir vielleicht später etwas erfahren. Dass ich hier an seiner Stelle stehe, hat eine besondere Bedeutung, denn ich oder wir Hexen möchten keine Rehabilitierung, sondern…« Cornetta legte eine kurze Pause ein und sprach das Wort dann laut aus. »Rache!«
Sie hatte ihrer Stimme viel Kraft gegeben, sodass selbst der letzte Zuhörer im Saal sie verstehen konnte, und dieses eine Wort, dessen Bedeutung jeder kannte, ließ die Menschen zusammenfahren.
Wir sahen, dass sich in unserer Nähe manche Lippen bewegten, die den Begriff nachflüsterten, aber mehr passierte nicht. Es stand niemand auf, um Fragen zu stellen, die Zuhörer blieben auf ihren Plätzen, als hätte man sie darauf festgeleimt.
Cornetta Schibone hob erneut die Arme an. »Ja«, schrie sie in den Saal hinein, »es geht uns einzig und allein um Rache! Keine Vergebung, sondern Rache! Nichts ist vergessen, gar nichts. Daran konnten auch die vergangenen Jahrhunderte nichts ändern. Jetzt ist unsere Zeit gekommen, um mit den Menschen von Preston abzurechnen. Euch lade ich dazu ein. Denkt an eure Vorfahren, denkt daran, was man mit ihnen gemacht hat. Das wird und muss euch Antrieb genug sein, um die Rache durchzuziehen. Gemeinsam werden wir losziehen und den Bewohnern das zurückzahlen, was sie unseren Vorfahren antaten. Ich will, dass diese Stadt blutet. Sie hat es nicht anders verdient!«
Wieder eine kurze Unterbrechung, wieder herrschte tiefes Schweigen im Saal, und Jane und ich schauten uns kurz an. Jetzt wussten wir, worum es der Schibone ging. Rache wollte
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