1398 - Tänzer, Tod und Teufel
den Arm, als wäre er flüssig.
»Ich kann dich zeichnen, Gürük. Es liegt einzig und allein an dir, was ich tue.«
»Gut«, sagte er, »gut.« Dann hob er flehend die Hände. »Ich werde reden…«
»Dann höre ich zu.«
»Ja, Burna hat die Sendung für sich behalten, und sie hat mich eingeweiht, weil die Verantwortung zu groß für sie allein gewesen war.« Er fing fast an zu heulen. »So ist es gewesen, so und nicht anders. Das musst du mir glauben.«
Azer sagte nichts. Er schwieg und überlegte. Sein Gesicht schien aus Schatten zu bestehen.
»Wo?«, fragte er dann.
Der Türke heulte Rotz und Wasser. Er bewegte seine Hände so unkontrolliert wie ein Kleinkind, und sie patschten in das Wasser.
Wieder huschte der Säbel auf ihn zu, und dieses Mal erlebte er den Schmerz am Kinn. Die Klinge hinterließ eine tiefe Wunde, aus der das Blut hervorsprudelte. Diese Wunde musste genäht werden, und sie würde eine hässliche Narbe hinterlassen.
Gürük traute sich nicht, das Blut abzuwischen. Er war gar nicht in der Lage, eine Bewegung durchzuführen, aber er raffte all seinen Mut zusammen und flüsterte: »Ich führe dich hin…«
Schweigen. Hoffnung stieg in Gürük auf, dass der Göttliche ihn akzeptierte, aber dann hörte er die Antwort.
»Nein, ich will wissen, wo ich es finden kann!«
Die Hoffnungen des Türken versanken in einem dumpfen Nebel.
Die Realität verließ ihn. Er hatte den Eindruck, wegzuschwimmen, und zugleich überkam ihn eine irre Todesangst.
Etwas rann an seinen Beinen entlang. Es war wärmer als das Wasser.
Für ihn war es schrecklich, er schämte sich so, doch Azer sah es nicht. Er war im Moment mit sich selbst beschäftigt.
»Ich bin Azer, der Göttliche«, erklärte er, »und ich werde alles herausfinden, was ich will.« Nach diesen Worten umfasste er seinen Säbel mit beiden Händen und senkte die Klinge, die auf den Kopf des im Becken stehenden Mannes zuwanderte.
Gürük wusste, dass der andere die Kraft hatte, ihn mit einem Hieb den Schädel in zwei Hälften zu spalten. Allein die Vorstellung ließ ihn fast durchdrehen, und er hörte wieder die Frage, die nur aus einem Wort bestand.
»Wo?«
»Ich… ich … sage es.«
»Gut. Aber sofort.«
»Ja, ja. Es ist versteckt. Du… du … musst zu einem Friedhof. Du musst zu den Toten.«
Damit hatte er Azer nicht geschockt, denn der sagte: »Ich komme von den Göttern. Auf meiner Haut liegt ihr Schweiß. Was stören mich da die Toten?«
»In ein Grab!«
»In welches?«
Gürük holte Luft. Dann schluckte er. Die Antwort, die jetzt folgte oder folgen musste, war die alles entscheidende. Es gab eine grausame Wahrheit, und er fragte sich, ob die andere Seite sie auch akzeptierte.
»Weiter!«, forderte Azer.
»Es… es … ist kein normales Grab. Es ist ein großes Grab. Eine Gruft, aber eine besondere. In ihr befinden sich viele Tote. Es ist ein Massengrab, verstehst du?«
»Rede weiter!«
Gürük schwindelte es. Er stand davor, alles zu verraten. Doch er wusste auch, dass es für ihn keine andere Chance gab. Möglicherweise ließ Azer Gnade vor Recht ergehen.
Wieder schielte er nach oben. Er sah den Schatten des Säbels und flüsterte: »Es ist das Grab mit den Urnen. Sie alle stehen dort. Sie alle sind mit dem Staub der Toten gefüllt. Dort hat Burna das Heroin versteckt. So lautet die Antwort.«
Azer Akasa sagte zunächst nichts. Er ließ eine gewisse Zeit verstreichen, bevor er fragte: »Und das stimmt?«
»Verdammt, warum sollte ich dich anlügen?«
»Gut. Wo muss ich hin?«
»Highgate Cemetery.«
»Es ist gut.«
»Ich kann dich führen.« Gürük versuchte es ein letztes Mal. »Ich kenne den Weg. Die Gruft mit den alten Urnen ist nicht so leicht zu finden. Man muss in die Erde. Es wird ja niemand mehr dort begraben. Sie sind… ich meine … heute macht man es anders. Da gibt es diese großen Grüfte nicht mehr.«
»Ich finde sie allein.«
Diese Antwort schockte ihn. Plötzlich hatte er den Eindruck, das Wasser um ihn herum würde sich in Eis verwandeln. Sein Herz schlug wahnsinnig schnell.
Gürük öffnete den Mund.
Zu einem letzten Schrei kam er nicht mehr. Der Säbel wurde zielsicher nach unten geschlagen, und mit Gürük passierte das, was er so sehr befürchtet hatte.
Der Pool wurde für ihn zu einem nassen Grab…
***
Das Bild des Toten hatte sich in unseren Köpfen festgebrannt. Wie von einem Blitzstrahl geführt, war das Grauen in unsere Welt eingebrochen. Jemand war auf grausamste Art und Weise
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