14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
sehen?“
„Nein. Er wünscht es nicht, und ich bin auch kein wirklicher Hekim.“
Als der junge Mann sich entfernt hatte, hörte ich einzelne Töne des Klaviers erklingen; es war eine leise forschende Hand, welche die Tasten niederdrückte, und bald darauf kam der Dschibuktschi und bat mich, hinaufzukommen. Droben stand eine der beiden Töchter; sie kam mir mit bittender Gebärde entgegen:
„Effendi, verzeihe mir! Ich sehne mich, das Lied noch einmal zu hören, welches du gestern zuletzt gespielt hast.“
„Du sollst es hören.“
Sie setzte sich in einem Winkel nieder und lehnte den Kopf an die Wand. Ich aber spielte. Es war das herrliche Kirchenlied: ‚Hier liegt vor deiner Majestät im Staub die Christenschar‘. Ich spielte diese Melodie einige Male und sang dann auch mehrere Strophen des Liedes. Das Mädchen hielt die Augen geschlossen und die Lippen leise geöffnet, wie um die frommen, feierlichen Töne leichter in ihr Inneres dringen zu lassen.
„Soll ich noch etwas spielen?“ fragte ich am Schluß.
Sie erhob sich wieder und trat herbei.
„Nein, Effendi, denn diese Musik soll durch keine andere beeinträchtigt werden. Wer ist es bei euch, der solche Worte und Töne singen darf?“
„Sie werden von Männern, Frauen und Kindern in jedem Gotteshaus der Christen gesungen. Und wer ein frommer Vater ist, singt mit den Seinen auch daheim solche Lieder.“
„Herr, es muß schön bei euch sein! Ihr gewährt Freiheit euren Lieben. Eure Priester, welche euch erlauben, solche Lieder mit den Eurigen zu singen, müssen besser sein und freundlicher als die unserigen, welche behaupten, daß Allah dem Weib keine Seele gegeben habe. Allah strafe sie und den Propheten für diese Lüge! Dir aber, Effendi, danke ich!“
Sie ging hinaus, und ich blickte ihr schweigend nach. Ja, der Orient schmachtet nach Erlösung aus schweren, tausendjährigen Banden. Wann wird sie ihm werden?
Ich schloß das Instrument; ich konnte nicht spielen, denn ein jeder Ton, welcher zu ihr drang, mußte den Eindruck des frommen Liedes verwischen, den sie sich bewahren wollte. Ich ging hinunter und ließ satteln, um mit Halef einige kleine Einkäufe zu machen.
Da wir nichts zu versäumen hatten, so beeilten wir uns nicht, machten einen Ritt der Wißbegierde durch die Gassen und drangen sogar in das enge, schmutzige Judenviertel ein. Da gab es genug Trümmer und Elend. Zwischen den Resten ehemaliger Prachtbauten klebten halbverfallene Butiken; die Männer gingen in abgeschabten, aus den Nähten reißenden Kaftanen, und die Kinder in Fetzen und Lumpen; die Frauen aber trugen über ihren verschlossenen Prachtgewändern all ihren echten oder unechten Schmuck zur Schau. Ich glaube, grad so müssen sich die Frauen und Töchter der Juden auch damals getragen haben, als der Prophet (Jesaias 3, 17-23) ihnen verkündigte: „Der Herr wird den Scheitel der Töchter Zious kahl machen und ihnen ihr Geschmeide wegnehmen. In dieser Zeit wird der Herr den Schmuck an den kostbaren Schuhen fortnehmen, die Heftel und die Spangen, die Ketten und Armbänder, den Flitter, die Hauben, das Gebräme, die Haarbänder, die Feierkleider, die Mäntel, die Schleier, die Beutel, die Spiegel, die Koller, die Borten und die Kittel.“
Als wir auf dem Rückweg an dem Bazar der Juwelenhändler und Goldarbeiter vorbeiritten, wollte ich bei Schafei absteigen, fand aber zu meinem Erstaunen das Gewölbe verschlossen. Zwei Khawassen hielten Wache dabei. Ich erkundigte mich bei ihnen nach dem Grund, erhielt aber eine so grobe Antwort, daß ich schleunigst fortritt. Zu Hause angekommen, fand ich sämtliche Bewohner in der höchsten Aufregung. Schon unter dem Tor kam mir Schafei entgegen. Er wollte das Haus in größter Eile verlassen, hielt aber an, als er mich erblickte.
„Effendi, weißt du es schon?“ rief er mich an.
„Was?“
„Daß wir bestohlen sind, entsetzlich bestohlen und betrogen!“
„Kein Wort!“
„So laß es dir von dem Vater erzählen! Ich muß fort.“
„Wohin?“
„Allah 'l Allah, ich weiß es noch nicht.“
Er wollte an mir vorüber, ich aber streckte die Hand nach ihm aus und hielt ihn fest. Das Ereignis hatte ihm die grad jetzt so nötige Ruhe des Urteils genommen, wie mir schien; einem unvorsichtigen Handeln mußte vorgebeugt werden.
„Bleib jetzt noch“, bat ich.
„Laß mich! Ich muß ihm nach!“
„Wem? Dem Dieb? Wer ist es?“
„Frage den Vater!“
Er wollte sich mir entwinden, ich aber rutschte von meinem Esel herunter,
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