1406 - Barriere im Nichts
provozierend. „Ich habe nicht den Eindruck, daß er es hören will."
„Du könntest es für mich tun."
„Wenn du meinst." Dao-Lin-H'ay gab das kartanische Gegenstück eines Seufzers von sich. „Am besten, wir setzen uns.
Salaam Siin hat ja eine ausgesprochen reizvolle Landschaft projizieren lassen.
Denn was ich berichten will, Covar Inguard, ist eine lange Geschichte..."
Eirene wußte gut über alles Bescheid, was die Kartaninfrau zu sagen hatte, ließ sich jedoch willig in ihren Bann ziehen.
Dao-Lin war eine gute Erzählerin.
Detailreich berichtete sie vom Entschluß der Superintelligenz ESTARTU, ihrem Volk zu Hilfe zu kommen, und umriß so die Ereignisse, die sich vor mehr als fünfzigtausend Jahren zugetragen hatten.
Anschließend berichtete sie von der NARGA SANT, der Ansiedlung in Pinwheel, den Giftatmerkriegen... Und kam auf die Zeit vor dem Stasissprung zu sprechen. „Vor 695 Jahren waren die Kartanin ein Volk im Umbruch", sagte sie. „Die patriarchalischen Kartanin trafen auf ihre matriarchalische Entsprechung in Pinwheel, oder zumindest stand dieser Konflikt bevor. Wir hatten soeben der Gefahr entkommen können, die unser aller Leben bedrohte - und das ist der letzte Stand. Du hast wahrscheinlich von den Gerüchten gehört, Covar Inguard; von den furchtbaren Kriegen überall ringsum.
Vieles verändert sich unter solchen Umständen. Nicht nur die Menschen. An deinem eigenen Beispiel siehst du, wie sich die Dinge entwickeln können. Davon sind die Kartanin nicht ausgenommen, auch sie leben als Produkte einer oft grausamen Umwelt."
„Du kannst die Sashoy nicht entschuldigen!" erwiderte Inguard heftig. „Ich entschuldige sie nicht", sagte Dao-Lin-H'ay sanft. Es war das erste Mal, daß Eirene sie in einem solchen Tonfall reden hörte. „Ich erkläre sie nur, und du kannst mir eines glauben: Sollten wir Gelegenheit dazu bekommen, finden die Zustände im Sashoy-Imperium ein Ende. Dazu stehe ich mit meinem Wort."
„Du glaubst selbst nicht daran", warf Inguard ihr geringschätzig vor. „Das ist leider wahr. Ich habe mitbekommen, wie kosmische Geschichte geschrieben wird. Wir sind ein paar kleine Wesen, wir sind im Grunde nichts. Aber wir können es versuchen."
Eirene spürte, daß der Mann von Bugaklis über Dao-Lins Worte erst nachdenken mußte. „Für heute ist es genug", entschied sie, „und wenn niemand etwas dagegen hat, kommen wir morgen wieder."
„Morgen soll der erste Vorstoß in die Milchstraße stattfinden", gab die Kartaninfrau zu bedenken.
Salaam Siin, der bis jetzt kaum ein Wort gesagt hatte, sang ein paar aufmunternde Akkorde. „Das ist kein Hindernis", meinte er. „Ihr könnt den Vorstoß ebensogut von Bord der HARMONIE aus mitmachen.
Jedenfalls seid ihr an Bord willkommen."
„Danke, Meistersinger." Eirene warf zunächst Covar Inguard, dann Dao-Lin-H'ay einen unsicheren Blick zu. Am Ende gab sie sich einen sichtbaren Ruck, sah den Ophaler an und bat: „Du hast etwas gesungen, Salaam Siin, als wir an Bord kamen..."
„Den Gesang der Heraldischen Tore?"
„Ja. Es ist ein sehr schöner Gesang.
Trägst du ihn noch einmal vor?"
„Das ist eine große Ehre für mich, Eirene, mehr als du denkst. Wann habe ich zuletzt gesungen, um andere nur zu erfreuen? Es ist schon eine Weile her, und ich bin nicht stolz auf diese Tatsache."
Er pumpte mit ein paar Atemstößen seinen Membrankranz am Halsansatz auf und ließ die ersten Melodiebögen erklingen. Eirene vergaß Inguard und Dao-Lin, ganz auf den psionischakustischen Kanon konzentriert nahm sie bequeme Haltung ein. Da saß er nun zwei Meter entfernt; ein äußerlich fremdartiges Wesen mit roter Borkenhaut, zwölf Tentakelarmen, Sinnesknospen und einer organischen Orgel, und doch ließen die Klänge ihn vertraut erscheinen.
*
„Es tut mir leid, daß ich dir jetzt nicht helfen kann, Eirene."
„Aber warum nicht?" wollte sie wissen.
So leicht wollte sie die Antwort ihres Vaters nicht akzeptieren. „Du mußt es so sehen: Wir haben den ersten Ortungsstopp auf dem Weg in die Milchstraße hinter uns, und es hat keinerlei Ergebnis gegeben. In der Mannschaft gärt es. Da kann ich mich nicht um Covar Inguard kümmern, weil er nur ein sehr kleines Problem darstellt. Außerdem", fügte er lächelnd hinzu, „wirst du auch ganz allein damit fertig. Dessen bin ich sicher."
„Mit deiner Hilfe wäre es leichter."
„Es geht nicht, Eirene." Seine Worte klangen endgültig, ein Tonfall, den zu akzeptieren sie gelernt hatte.
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