1408 - Der Totenholer
ist von einem höllischen Wahnsinn befallen. Ich kann es beim besten Willen nicht nachvollziehen … und habe einsehen müssen, dass er nicht mehr für Argumente und Vernunft zugänglich ist.«
Den Mann konnte ich nur bewundern. Trotz seiner Verletzungen schaffte er es, mir diese Antworten zu geben. Dabei blieb er nie ruhig. Er wand sich vor Schmerzen, und über seine Lippen drangen immer wieder ein pfeifender Atemzug, vermischt mit den röchelnden Lauten, und auch die Blutbläschen auf seinen Lippen wurden nicht weniger.
»Wo ist er jetzt?«, fragte ich weiter.
»In seinem Haus.«
»Es ist verschlossen.«
»Er schließt sich immer ein«, flüsterte der Pfarrer. »Er… er will dann von keinem Menschen gestört werden. Er lässt auch keinen in sein Haus. Niemand … konnte ihn vertreiben, nachdem wir ihn entlassen hatten. Das Haus gehört ja ihm.« Ein leichter Hustenanfall unterbrach ihn. Danach sprach der Pfarrer weiter. »Aber … ich habe alles versucht, und ich habe auch einen Zweitschlüssel machen lassen. Er weiß es nur nicht. Ich wollte in sein Haus eindringen und dafür sorgen, dass alles anders wird. Er hat es gemerkt – irgendwie. Dann ist er zu mir gekommen, um abzurechnen. Das hat er auch geschafft. Ich weiß, dass ich nicht mehr lange zu leben habe. Versuchen Sie alles, um ihn zu stoppen… Ich … ich vertraue Ihnen. Sie sind …« Wieder musste er husten. Seine Gesichtshaut lief dabei rot an. Die Anstrengung war einfach zu viel für ihn. Der Hustenanfall schüttelte seinen Körper durch, und ich hielt ihn an den Schultern fest.
Zu spät – oder…?
Nein, er fing sich wieder, doch ich erkannte mit einem Blick in seine Augen, dass der Pfarrer nicht mehr lange leben würde. Er quälte sich die letzten Sätze förmlich ab.
»Wir haben einen Teufel unter uns gehabt, und wir haben es nicht bemerkt. Es ist… furchtbar, das weiß ich, aber … ich kann nichts dagegen unternehmen. Ich habe verloren. Er … er kam, seine Waffe ist schrecklich. Er drückte mir die Messer in die Brust, und … ich weiß, dass mir kein Arzt mehr helfen kann …«
Ein erneutes Husten und Röcheln ließ mich zurückzucken. Die schlappe Gestalt bäumte sich noch einmal auf. Es sah aus, als wollte sie in meine Arme fallen, dann aber sackte sie wieder zusammen.
Ich hielt den Geistlichen fest, der von unten her in mein Gesicht schaute.
»Schlüssel…«, flüsterte er. »Der zweite … Ich habe ihn … trage ihn bei mir.« Vergeblich versuchte er, die Hand zu heben und mich anzufassen. Er hatte nicht die Kraft dazu. Auf halbem Weg sackte sie zurück.
Als wäre dies ein Zeichen, so rann auch das Leben aus seinem Körper. Er kippte einfach weg. Seine Augen verloren auch den letzten Glanz.
Der Blick war gebrochen. Nicht ein Atemzug wehte noch aus seinem starren Mund.
Ich schloss dem Mann die Augen. Es war das Letzte, was ich noch für ihn tun konnte. Aber er hatte uns kurz vor seinem Tod den richtigen Weg gewiesen.
Suko sprach mich darauf an. »Denkst du an den Schlüssel?«
»Und ob.«
Ich ging davon aus, dass er den Schlüssel in einer seiner Taschen hatte und durchsuchte sie.
Leider musste ich die Leiche dabei auf den Bauch drehen. So konnten meine Finger in einer Gesäßtasche verschwinden, und dort fand ich den Schlüssel.
Er war ein flaches Gebilde mit Einkerbungen an beiden Seiten. Ich dachte an das alte Haus des ehemaligen Küsters und auch daran, dass er es mit einem modernen Schloss ausgestattet hatte.
»Lass uns gehen«, sagte Suko.
Ich hatte nichts dagegen. Dieser Silas Manson musste einfach gestoppt werden. Ich wusste nicht, wie viele Menschen er auf dem Gewissen hatte, aber weitermachen durfte er auf keinen Fall…
***
Suko und ich verließen das Gotteshaus. Wir öffneten die Kirchentür vorsichtig, denn es konnte ja sein, dass sich Manson in der Nähe aufhielt und die Umgebung beobachtete.
Das war nicht der Fall. Die Luft war rein, und wir hatten von nun an nur ein Ziel.
Nichts an diesem Haus deutete darauf hin, wer sich dort zurückgezogen hatte. Es sah völlig normal aus. An der Westseite hatte die Feuchtigkeit ihre Spuren als grünen Film auf dem Mauerwerk hinterlassen. Nichts bewegte sich an der Tür, und auch hinter den beiden Fenstern, die wir sahen, blieb es ruhig.
»Ich denke, John, wir sollten mal davon ausgehen, dass dieses verdammte Haus auch einen Keller hat.«
»Möglich.«
»Da hat er dann die nötige Ruhe, die er braucht, um sich mit seinen Leichen zu befassen.«
Ich nickte und
Weitere Kostenlose Bücher