141 - Das trockene Meer
drückte sich schmerzhaft in ihr Kreuz, und Ygoor warf sich mit einem triumphierenden Schrei auf sie.
Uff! Urla keuchte, als sein Gewicht auf ihr landete. Als sie die Hände hob, um ihre Daumen in Ygoors Augen zu bohren, hörte sie ein festes Klatschen. Dann schlug die Nase des Wüstlings gegen ihr Kinn.
Über der verdutzten Urla tauchte das schwarze Gesicht eines Glatzkopfs auf, dessen Fäuste Ygoors Ohren packten, ihn daran hochrissen und auf die Beine stellten. Ygoor, vor Schreck und Ohrensausen wie gelähmt, öffnete den Mund, der sofort von einer Faust verschlossen wurde.
Urla sprang hoch. Der Schwarze, dessen Augen erzürnt blitzten, schleuderte Ygoor rücklings gegen einen Baum. Es krachte hohl, als Ygoors Schädel gegen die Borke schlug. Er verdrehte die Augen und verlor die Besinnung.
Der Schwarze wischte sich die Hände ab, schenkte dem Neffen der Gnädigen einen verächtlichen Blick und fauchte
»Madderfacker«.
»Wer bist du?«, fragte Urla in der Sprache der Britanier, als sie wieder zu Atem gekommen war.
Der Schwarze drehte sich um und verbeugte sich höflich.
»Collyn Hacker, stets zu Diensten, Lady.« Seine Aussprache erinnerte an Mr. Black, und Urla fragte sich, was wohl aus ihm geworden war.
»Aus Britana?«
Der Schwarze nickte. »Unter anderem.« Er musterte Urla eingehend. »Du verstehst mich? Was für eine angenehme Überraschung.«
Urla nannte ihren Namen und erzählte Hacker von ihrer Zeit auf See, ging jedoch nicht in die Einzelheiten.
»Was machst du hier?«, fragte Hacker. »So allein im Busch, meine ich.«
»Und du?« Urla ging nicht auf die heikle Frage ein.
Schließlich hatte sie der Gnädigen einen Eid geleistet.
»Ich suche einen Freund.« Hacker schaute sich um. »Er ist mit einer gewissen…« Er runzelte die Stirn. »Urla heißt du? Wo ist Mr. Black?«
Hinter ihnen raschelte etwas. Als sie herumfuhren, sahen sie Ygoor Saljakin durch das Unterholz hinter seinen Komplizen her rennen. Sie ließen ihn laufen, denn er wäre ohnehin nur Ballast gewesen.
***
Nachdem Hacker am Kolyma auf den Dampfer und die ermordete Mannschaft gestoßen war, hatte er das letzte Murometz gesattelt und war nach Süden geritten – um Mr. Black zum Kratersee zu folgen.
Die Fährten mehrerer Reittiere hatten ihn argwöhnisch gemacht: Da er nicht davon ausgegangen war, dass Black und Urla die Mannschaft gemeuchelt hatten, sondern die Männer, die sie vermutlich verfolgten, hatte er einen nicht unwichtigen Schluss gezogen. An der Stelle, an der eine Einzelfährte nach Süden führte, hatte er sich entschieden, den abbiegenden Spuren zu folgen. Mr. Black – denn die Spur in Richtung Kratersee konnte nur die seiner Reittiers sein – war nicht in Gefahr, weil keine weitere ihm folgte. Die Frau aber, die ihn mitgenommen hatte, hatte ganz offensichtlich sämtliche Verfolger auf sich gezogen. Ihr musste er beistehen.
Unterwegs hatte er Kapitän Pofski in seinem Ballon gelegentlich über dem Wald kreisen sehen. Er hatte offenbar Probleme mit der Steuerung seines Wunderwerks. Hoffentlich havarierte sein Ballon nicht in dieser Wildnis, Ohne Murometz war der kleine Mann in diesem Wald verloren.
»Und was genau ist dein Auftrag?«, fragte Hacker, als er nach einem halbstündigen Fußmarsch, sein Murometz am Zügel führend, hinter dichtem Blattwerk eine dunkle Mauer erspähte.
»Er ist geheim« , erwiderte Urla und blieb stehen.
»Also wirklich, Urla!« Hacker schnaubte. »Was soll das Gewäsch?« Er deutete nach vorn. »Gleich sind wir am Ziel. Da werde ich ohnehin erfahren, was dich hierher geführt hat.«
Urlas Miene sagte Hacker, dass sie ihm insgeheim Recht gab. Andererseits war sie ihrer Herrin verpflichtet.
»Ich finde, du behandelst deinen Retter reichlich ungehobelt… Hättest du mir nicht versprochen, dass wir nach Erledigung deines Auftrags Mr. Blacks Spur aufnehmen, würde ich dich glatt –«
»Boah…!« Urla deutete mit offenem Mund nach vorn.
Sie hatten gerade ein Gebüsch durchquert, und jetzt sah Hacker die schwarzen Mauern und Zwiebeltürme einer festungsartigen Anlage. Der Urwald hatte sie fast überwuchert.
Er reckte den Hals. Die Mauer war mindestens zwölf Meter hoch und so glatt, dass man sie mit bloßen Händen nicht bezwingen konnte. Die dahinter liegenden Gebäude mussten aus Stahlbeton sein, denn der Zahn der Zeit hatte ihnen nichts antun können. Er sah Fensterscheiben, hinter denen sich nichts rührte. Hacker fragte sich, auf was er sich da mal wieder eingelassen
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