1417 - Der Würgeengel
Toten im Rollstuhl. »Haben Sie ihn umgebracht?«
»Wollen Sie mich für dumm verkaufen? Natürlich nicht. Es war der Engel, der ihm das Leben nahm.«
»Und ihn erwürgte?«
»Klar.«
»Wie auch die anderen alten Menschen?«
»Natürlich«, erklärte sie, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt.
»Und das haben Sie zugelassen?«
»Genau.«
Suko sprach weiter. Zuvor allerdings schüttelte er den Kopf.
»Warum macht man das, verdammt? Die Menschen waren alt, okay, aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, sie zu töten.«
»Ich habe sie nicht getötet.«
»Aber Sie ließen es zu.«
»Warum nicht?« Locker hob sie die Schultern. »Ich habe es nicht für mich getan. Es ging um den Engel. Er braucht die Menschen. Er braucht ihre Seelen. Er hat sie aufgenommen, als sie starben, und er hat mir die Beseitigung der Leichen überlassen. Sie sehen, wir beide haben uns gesucht und gefunden.«
»Ja, das ist mir inzwischen auch klar geworden. Aber wer ist dieser Würgeengel? Wo kommt er her? Er kann nicht jemand sein, der sich auf seine positiven Engelskräfte besinnt.«
»Das ist Ansichtssache.«
»Wer also ist er?«
»Einer, der sich die Seelen der Menschen holt, um Stärke zu gewinnen. Er legt in den Sekunden des Todes seine Lippen auf den Mund des Sterbenden und nimmt seine entschwindende Seele in sich auf. Genau das hat er getan, und er wird nichts anderes tun, bis er sich wieder mit einem Menschen gleichsetzen kann.«
»Ein Engel?«, höhnte Suko.
»Ja, Mensch und Engel. Er hofft, irgendwann einmal eine menschliche Gestalt zu bekommen. So ist er nur ein Geistwesen, aber die Seelen der Menschen geben ihm die nötige Stärke. Sie sehen ihn vielleicht als Mörder an, aber Mörder sind für mich andere. Er hilft den Menschen auf ihren Weg ins Jenseits. Sie hätten ihn sowieso angetreten, ob nun früher oder ein wenig später. Das ist nicht wichtig, denn der Tod stand schon für sie fest.«
»Und wie viele Morde will er noch begehen?«, fragte Suko mit ruhiger Stimme.
»Ich weiß es nicht«, bekam er zur Antwort. »Aber es muss ein Geheimnis zwischen ihm und mir bleiben. Es darf nicht gelüftet werden, nur das allein zählt.« Sie legte den Kopf schief und lächelte kantig. »Wenn Sie genau darüber nachdenken, haben Sie schlechte Karten.«
»Sie meinen also, dass wir als nächste Opfer vorgesehen sind, Mrs. Cerny?«
»Gibt es denn eine andere Alternative?«
»Für uns schon.«
»Nein, der Zug ist abgefahren. Diese Alternative wird es nicht geben. Es bleibt dabei. Dieser Keller wird für euch zu einem Grab werden, das verspreche ich.«
»Und ich halte dagegen.«
»Fühlen Sie sich stärker als ein Engel?«, höhnte sie.
»Ja, das fühle ich mich und auch mein Freund John Sinclair.« Suko drehte den Kopf, um ihn anzusprechen, doch da packte ihn das große Erstaunen, denn John war verschwunden. Er musste sich klammheimlich aus dem Staub gemacht haben.
Suko war so perplex, dass er seine Überraschung nicht verbergen konnte, was bei der Cerny ein Lachen auslöste.
»Da scheint wohl jemand die Flucht ergriffen zu haben, denke ich mir. Aber so einfach ist das nicht. Er soll sich nur nicht vorstellen, dass er dem Würgeengel entkommen kann.«
»Ich glaube, Sie sehen das nicht richtig. Es kann durchaus sein, dass John Sinclair bewusst…«
Der Schrei brach Sukos Rede ab.
Er hörte sich schrill und überzogen an, und Suko fragte sich, ob er überhaupt von einem Menschen stammte…
***
Ich für meinen Teil war sehr froh, dass Suko die Unterhaltung führte, denn ich musste mich auf andere Dinge konzentrieren, die mich recht plötzlich erwischt hatten.
Möglicherweise hing es auch mit dem Erscheinen dieser Elaine Cerny zusammen, jedenfalls spürte ich den leichten Wärmestoß genau dort auf der Brust, wo sich mein Kreuz befand.
Ich hatte gelernt, darauf zu achten, denn das war verdammt wichtig. Die nächsten Sekunden ließ ich verstreichen und wartete darauf, ob sich die Botschaft wiederholte.
Ja, nach einer kurzen Pause!
Es hielt sich also jemand in der Nähe auf, über dessen Erscheinen das Kreuz nicht eben erfreut war. Zu sehen war er nicht, aber es gab nicht nur diesen einen Raum inmitten des Kellers, sondern noch genügend Verstecke, die auch in der Nähe lagen.
Da wollte ich hin.
Suko war mit der Cerny beschäftigt. Ich dämpfte wieder mal das Licht der kleinen Leuchte und zog mich zurück. Hinter mir befand sich der offene Durchgang. Für meinen Plan war er perfekt, und nicht
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