142 - Bei Nebel kommt der Schizo-Killer
zog das Läutwerk auch schon lange nicht mehr auf. Der Wecker war mehr
Zier als Gebrauchsinstrument. Meistens vergaß sie auch, das Uhrwerk
aufzuziehen. Ihr Organismus war darauf trainiert, zu dem Zeitpunkt wach zu
werden, an dem sie erwachen wollte. Wenn sie sich um Mitternacht todmüde zu
Bett legte und sich fest vornahm, um drei Uhr wach zu sein, funktionierte das.
Für heute jedoch hatte sie sich nichts
vorgenommen und am Abend zuvor sogar daran gedacht, den Wecker aufzuziehen.
Trotz seines Alters ging der nämlich genau. Es war acht Minuten nach fünf Uhr.
Das bedeutete, daß in New York die Zeiger der
Uhren jetzt auf elf Uhr acht am Abend standen.
»Bonjour, Mademoiselle«, meldete sich aus dem Miniaturlautsprechern der Weltkugel die besonnene,
väterlich klingende Stimme des PSA-Leiters. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht
mitten im Schlaf gestört ?«
»Nein, Sir, keineswegs. Ich war bereits auf
dem Weg zum Bad«, erwiderte Claudine Solette verschmitzt lächelnd und gähnte herzhaft.
»Wunderbar. Dann werden Sie diesen Tag früh
beginnen. Lassen Sie die Morgengymnastik ausnahmsweise mal ausfallen. Ich biete
Ihnen dafür einen Ausritt durch herbstliche Wälder an .«
»Das hört sich verlockend an, Sir. Und wo
liegt der Haken ?« Wie alle anderen Agenten und
Agentinnen der legendären PSA wußte Claudine auch, daß hinter einem solchen
Angebot meist mehr steckte, als die ersten Worte vermuten ließen.
»Ich sehe, ich bin mal wieder durchschaut.
Merken Sie sich folgende Adresse gut, Mademoiselle: Gestüt und Reiterhof Jean
Seautant in Mantes .«
»Finde ich auf Anhieb, Sir. Das Gestüt ist
weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Wer viel Geld besitzt, kann
dort Traumurlaub machen .«
»Genau das sollen Sie tun. Reiten können Sie
ja. Verfügen Sie über eine Ausrüstung? «
»Selbstverständlich, Sir. Das Glück dieser
Erde liegt bekanntlich auf dem Rücken der Pferde. Ich reite des öfteren aus.
Allerdings kann ich es mir bei meinem bescheidenen Gehalt nicht erlauben, bei
den Seautants Urlaub zu machen .«
»Diesmal werden Sie es können .. . auf Kosten der PSA! Ihnen sind keinerlei finanzielle
Grenzen gesetzt. Treten Sie als reiche Nichtstuerin dort auf, Sie sind eine
junge Witwe, haben einen reichen Mann beerbt und bemühen sich derzeit
erfolgreich, Ihr Vermögen unter die Leute zu bringen und klein zu kriegen.
Mieten Sie sich einen teuren Wagen, leben Sie standesgemäß! Bei all dem
Vergnügen, das ich Ihnen gönne, sollten Sie jedoch eines nicht vergessen: Ihren
Auftrag .«
»Und wie lautet der, Sir ?«
»Die Seautants gehen mütterlicherseits auf
den Marquis de Ilmaques zurück. Dieser Marquis lebte von 1748 bis 1791. In der
Zeit der Französischen Revolution soll de Ilmaques noch rauschende Feste
gegeben haben. Während in Paris die Bastille gestürmt wurde und die Köpfe der
Adeligen unter der Guillotine rollten, lebte er privat, unbehelligt und weit
vom Schuß in seinem Landhaus wie Gott in Frankreich.
Alle Informationen, die wir inzwischen über
de Ilmaques in Erfahrung bringen konnten, beweisen, daß er ein Liebling der
Frauen war und die Frauen auch liebte. Mehr wissen wir noch nicht. Aber es
besteht neuerdings der Verdacht, daß de Ilmaques möglicherweise etwas mit den
rätselhaften Morden zu tun hat, die Paris und London in Atem halten .«
»Der Mörder, der bei seinen Opfern das
Teufelsmal hinterläßt?«
»Genau der ist gemeint, X-GIRL-F. Vielleicht
ist das Gestüt der Ausgangspunkt von Ereignissen, die bisher - wenn wir
Chantalle Seautant mit einbeziehen - vierzehn Todesopfer gefordert hat .«
»Vierzehn - eine merkwürdige Zahl.«
»Ich fürchte, daß es schon fünfzehn sind .«
»Und wie kommen Sie darauf, Sir ?«
»Weil es bisher stets so war, daß parallel zu
einem Mord in London ein gleicher in oder um Paris passierte. Aus London liegt
inzwischen eine Mordmeldung vor. Dort wurde eine gewisse Daisy Allerton
erstochen und mit dem in die Haut eingeprägten Teufelsantlitz gefunden. Der
Mord passierte genau um Null Uhr zwei .«
»Woher weiß man das so genau ?«
»Daisy Allerton schlug mit dem Handgelenk, an
dem sie ihre Uhr trug, auf den Boden und die Zeiger blieben stehen. Wenn die
Parallelen bisher stimmten, gibt es auch zum bedauerlichen Mord an der
Engländerin eine weitere Parallele an einer Französin. Wahrscheinlich hat man
die Leiche bisher nur noch nicht gefunden, sonst würde uns längst Meldung
vorliegen.
Daß nur eine halbe Stunde nach dem Mord
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