142 - Der Bluttempel
unseren Zwist nicht endlich einmal vergessen. Alles begraben und vollkommen von vorne anfangen?«
»Du weisst, dass dass unmöglich isst«, antwortete Sirhissov.
»Unssere Auffassungen, wass den Handel betrifft, liegen einfach zzu weit ausseinander…«
Der Schlangenhändler stand ruhig wie eine Statue und schien nicht zu blinzeln. Hinter ihm wuchs eine breite Treppe empor. Wenige Stufen weiter oben befand sich das Tor eines tempelartigen Gebäudes, dessen nähere Umrisse im Wald verschwanden, ja nahezu mit diesem verwachsen schienen.
Matt brauchte nicht zu sehen. Er spürte das unsagbar Böse, das sich hier verborgen hielt. Und als perfektes Synonym für all das, was ihn im Dahinter erwartete, verstand er die Gegenwart von Sirhissov.
»Kannst du seine Gedanken erkennen?«, fragte er flüsternd Aruula.
»Dazu fehlt mir hier einfach die Konzentration«, wisperte die Barbarin. »Die Schlangen irritieren mich. Das Zischen, das Gekrieche, dieser unheimliche Tempel – das ist kein Ort zum Wohlfühlen.«
»Hast du wenigstens irgendwelche Anhaltspunkte?«, hakte er nach. »Stimmungen oder Gefühle?«
»Sirhissov ist ein sehr dunkler Charakter, den irgend etwas vorwärts treibt«, entgegnete Aruula. »Ja – das ist es! Er ist ein Getriebener! Nimm dich vor dem Schlangenhändler ja in Acht!«
Wesen, die eine fixe Idee in den Mittelpunkt ihres Daseins stellten, hatte Matt stets als besonders gefährlich angesehen – und damit bislang immer Recht behalten.
»Danke«, antwortete er und trat zu Popovgeno, der seinen Bruder nunmehr schweigend mit Blicken maß.
Es stand etwas zwischen den beiden so ungleichen Geschwistern. Etwas, das sich nicht so leicht aus dem Weg räumen ließ.
Doch das hatte ihn hier und jetzt nicht zu kümmern. Er musste seinen… Auftrag erledigen. Die Muße, über die Probleme zwischen Schlangen- und Vogelhändler zu grübeln, besaß er einfach nicht. Dies hier war nur eine winzig kleine Etappe auf dem Weg, der ihn schlussendlich zur finalen Auseinandersetzung mit den Daa’muren führen würde.
»Sollten wir nicht die Vögel holen?«
Die Worte erschreckten Popovgeno, brachten ihn abrupt in die Gegenwart zurück.
»Nein«, sagte der Vogelhändler. »Wir warten noch ein wenig und lassen meinem Bruderherz den Vortritt. Wir wollen doch nicht, dass einige meiner kleinen Freunde den Weg in die Mägen seiner zischenden Brut finden, oder?«
»Dass könnte passsieren, wenn ihr nicht vorssichtig sseid.«
Sirhissov drehte sich zur Seite, zeichnete mit seinen überaus gelenkigen Händen einige mysteriöse Bilder in die Luft und schritt schließlich die Stufen hinauf.
Es schien unmöglich – und doch folgten ihm die Schlangen!
Nicht nur das: Von überall her kamen sie ihm nachgekrochen.
Aus dem tiefen Gras, von den Bäumen herab, aus nahezu unsichtbaren Erdlöchern, ja selbst aus winzigsten Spalten der Treppe schienen sie ans Tageslicht zu finden.
»Kommt, meine Freunde«, singsangte der Händler, »euer kaltess Blut ist mir allemal lieber als dass meiness… warmherzzigen Bruderss.«
Ein knirschendes Geräusch ertönte vor dem Schlangenhändler. Ein Spalt öffnete sich, übermannsgroß und langsam seine kreisrunde Form offenbarend. Grelles Licht strahlte daraus hervor.
Der Zugang zum Tempel verschluckte Sirhissov und seine Brut, schloss sich wenige Augenblicke später wieder, ließ die drei Menschen in übernatürlicher Stille zurück.
Die Schöpfung hatte den Atem angehalten – und stieß ihn ganz plötzlich wieder aus. Das Schnattern, Knacksen, Keckern und Zwitschern, die natürliche Geräuschmelange des Waldes, brach augenblicklich über sie herein.
Matt stellte überrascht – und erleichtert – fest, dass sein Herz noch schlug.
***
»Dein Bruder? Ich kann es einfach nicht fassen…«
»Und doch stimmt es, schöne Aruula. Vater und Mutter waren dieselben, auch wenn es zu keinem Moment ersichtlich wird.«
»Wie und warum…«
»Es ist eine Geschichte, die zu weit führen würde, und ich möchte sie auch bei mir behalten.« Popovgeno runzelte die Stirn. »Manche Sachen bleiben besser im Stillen begraben.«
Aruula, bekanntermaßen selbst jemand, der ausgezeichnet schweigen konnte, nickte stumm. Sie schulterte einen der metallenen Käfige und folgte Matt, stets darauf bedacht, schweres Tuch zwischen sich und den scharfen Schnäbeln der gefangenen Tiere zu halten.
»In seinen Gedanken lese ich ähnliche Schwermut wie bei seinem Bruder«, flüsterte sie Matt bei nächster Gelegenheit
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